Gestern habe ich in Bottrop meinen sage und schreibe 40. Science Slam gemacht. Da dachte ich mir, es ist doch ein guter Zeitpunkt, einmal eine kleine Bilanz zu ziehen. 40 Science Slams und was sie für mich bedeuten.
Deutsche Meisterschaft 2015, Konzerthaus Dortmund
Als ich am Mittwoch, den 4. November 2014, mit meinem Auto auf unseren Uni-Parkplatz fuhr, war ich bis zum Zerreißen gespannt. Biene, eine der Mitarbeiterinnen unseres Studentencafés KKC, hatte mich an einem Nachmittag einmal darauf angesprochen, ob ich nicht auch mitmachen wolle. Es finde hier ein Science Slam statt und ich sei doch auch Wissenschaftler. Geschichte? Bühne? Publikum? Ich gebe zu, alle drei Aspekte klangen reizvoll, also habe ich mir einen Vortrag gebastelt und mich beworben. Dass ich überhaupt genommen wurde, hat mich überrascht. Nun gut, dachte ich mir, wie viele Leute werden da sein? 30, 40 vielleicht, also eigentlich eine ganz gewöhnliche Seminaratmosphäre, nur eben abends in der Kneipe. Aber Wissenschaft findet ohnehin mindestens genau so häufig in Kneipen statt wie in Hörsälen. So setzten wir uns (ich und meine Freundin Katharina, meine unverzichtbare Stütze bei Slams so wie überhaupt in allem!) ins Café und warteten, was auf uns zukommen würde. Ein Kollege von der Uni kam. Er sollte an diesem Abend auch mitslammen, war aber schon sehr missmutig. „Wir haben wohl kaum eine Chance zu gewinnen“, sagte er. „Es kommt auch ein Typ, der hat schon über 20 Slams gewonnen“. Das ließ mich ebenfalls stocken. Ich dachte eigentlich, das wäre hier eine gemütliche Sache unter uns.
Als wir dann in den Bühnenraum des KKC gingen, sah ich meine Vorstellungen nahezu pulverisiert. Da stand ein Typ mit einer E-Gitarre auf der Bühne, eben jener, der schon so viele Slams gewonnen hatte: Johannes Hinrich von Borstel (Video). Was für ein Name! Außerdem, und das schockierte mich eigentlich noch mehr, war das KKC rappelsvoll! Die Leute standen schon vor der Tür. Es mochten 150, vielleicht sogar 200 sein. Die Anzahl der Zuschauer und in diesem Moment auch mein Puls. Was war denn hier los? Zudem erfuhr ich, dass der damals amtierende Deutsche Meister Reinhard Remford die Moderation übernehmen sollte. Aha, bei einem Science Slam gibt es also auch einen Moderator. Wieder was gelernt.
Ich habe den ganzen Abend gezittert. Vor meinem Auftritt vor Nervosität, während meines Auftritts vor Aufregung (und das mit einem Handmikrofon, das muss echt krank ausgesehen haben!) und nach meinem Auftritt vor Spannung. Ich bin Zweiter geworden. Zweiter! Hinter Johannes Hinrich von Borstel und dem Philosophen Matthias Warkus. Dieser donnernde Applaus bei der Abstimmung. Ich konnte es kaum fassen. Aber was danach kam, war noch unglaublicher. Das Campus-Radio interviewte mich. Dann kam auch noch Johannes auf mich zu und sagte zu mir, ich hätte gewinnen müssen, weil mein Vortrag einfach super war. Es ließ mich ihm meine E-Mail-Adresse aufschreiben und sagte, er würde mich sämtlichen Veranstaltern weiter empfehlen. Was für ein Abend!
Der krönende Nachschlag kam dann am nächsten Tag mit einem Anruf von Luups, dem Verlag bzw. der Agentur, die die Slams organisiert. Heute gäbe es einen in Dortmund, ob ich nicht mitmachen wolle. Also hatte ich nicht einmal 24 Stunden später meinen nächsten Auftritt im traditionsreichen Klub Domicil. Es folgten in den kommenden Jahren 38 weitere. Wahnsinn!
Slam in Halle, 2015
Ich bin weiß Gott nicht der erfolgreichste Slammer hierzulande. Viele haben mehr Siege als ich, viele haben auch schon bei großen Verlagen Bücher veröffentlicht und sind teilweise damit in der Spiegel-Beststellerliste. Mit den meisten habe ich die Bühne geteilt, was an sich schon einmal eine große Ehre ist. Meine Bilanz sind 4 Siege und 14 zweite Plätze. Auch wenn das vielleicht für Außenstehende etwas deprimierend klingt, das ist es ganz und gar nicht. Aus drei Gründen:
Der erste Grund: Die vier Slams, die ich gewonnen habe, möchte ich nicht gegen zehnmal so viele Siege eintauschen. Mein erster Sieg war im legendären SO36 in Berlin, von dem mir Luci van Org auch letztens erzählte, dass sie dort mit Lucilectric regelmäßig aufgetreten ist und außerdem dort ihre halbe Jugend verbracht hat. Morgens nach Berlin, abends Slam, drei Stunden Schlaf im Hotel, am anderen Morgen zurück, um 12 Uhr wieder auf der Arbeit. Was für ein Tag! Der zweite Sieg war die Vorausscheidung zu den deutschen Meisterschaften in Bochum. Das hat mir die Teilnahme am Finale in Dortmund 2015 ermöglicht, ein wahrlich unvergessliches Erlebnis. Der dritte war der mit der für mich schönsten Kulisse, nämlich in der Dortmunder Reinoldi-Kirche (wo übrigens Moderator und Poetry Slammer Rainer Holl zu meinem persönlichen Glücksbringer avancierte). In dieser Kirche vor dem Altar zu den Klängen von Tiamats „Neon Aeon“ aus Dantes Hölle vorzulesen, war eine der geilsten Inszenierungen, die ich jemals machen durfte. Der Science Slam macht es möglich! Schließlich gab es da noch den Slam im Dortmunder U, den ich zusammen mit „Apotheken-„ Darius Rupalla gewinnen konnte. Da das Dortmunder U für mich zu einer Art Heimstätte für Lesungen und Slams geworden ist, war das natürlich die perfekte Abrundung.
Die Slam-Bühne in der Reinoldi-Kirche, Dortmund 2015
Der zweite Grund: Man verliert keinen Science Slam! Natürlich ist es toll, auf der Bühne am Ende des Abends als Sieger gefeiert zu werden. Aber jeder bekommt Applaus und hinterher sind es tatsächlich oft Kleinigkeiten, die den Sieger ausmachen. Außerdem – und das ist vielleicht noch wichtiger – unter den Slammern selbst herrscht immer eine tolle Stimmung. Manchmal gibt es große Slams, bei denen alle ein wenig nervös sind. Aber ich habe nie irgendeine Art negativer Stimmung erlebt wegen der Konkurrenzsituation. Man hört ab und zu von Slammern, die eine solche Erfahrung schon gemacht haben, aber zu denen gehöre ich nicht. Ich habe so viel gelernt während dieser Veranstaltungen über wissenschaftliche Themen, Wissenschaft an sich, Vorträge und generell über Menschen. Allein die bereits genannten Slammer über ihre Themen reden zu hören, war und ist ein Genuss. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch erwähnen, dass Dong Seon Chang bei den deutschen Meisterschaften den besten Vortrag gehalten hat, den ich je gesehen habe. Einfach genial (Video)! Deswegen: Beim Science Slam gibt es zwar Sieger, aber eigentlich keine Verlierer.
Der dritte Grund: Man kommt echt rum. Nehme ich Lesungen und Slams zusammen, gibt es nur drei Bundesländer, in denen ich noch keinen Auftritt hatte: Bayern, Brandenburg und Bremen (Einladungen an entsprechende Orte nehme ich jederzeit gerne entgegen :-)). Anstatt an der ewig gleichen Uni in den ewig gleichen Räumen zu unterrichten und vielleicht ab und zu auf Tagungen vor einer Handvoll gähnender Wissenschaftler einen Vortrag zu halten, habe ich bei Slams regelmäßig auf Bühnen gestanden, vor denen sich zwischen 300 und 1100 Leuten tummelten. Wo hat man als Wissenschaftler schon jemals so ein Publikum, ohne vorher den Nobelpreis eingestrichen zu haben? Es waren auch teilweise wirklich originelle Orte: Neben der Reinoldi-Kirche zum Beispiel ein Kino (Mainz, Lübeck), eine Konzerthalle (Dortmund), ein Festsaal (Halle), eine Behindertenwerkstatt (Wuppertal), ein Museum (Hattingen), ein Casino (Dortmund) oder im Haus der Bundeszentrale für politische Bildung (Bonn). Ich kann es eigentlich bis jetzt noch nicht glauben, dass ich dort überall dabei sein durfte.
An die Handschuhe musste ich mich noch gewöhnen -
Mein erster Sieg im SO 36, Berlin
Wissenschaft und Öffentlichkeit – das sind zwei Phänomene unserer Zeit, die nicht immer gut in Einklang zu bringen sind. Es gibt viele Formate, als Bücher, im Fernsehen oder im Internet, die vorgeben, fundiertes Wissen zu vermitteln, oft genug mit einem fatalen Anstrich von Seriosität, der aber eigentlich nur überdecken soll, dass sie gefährliches Halbwissen in sich tragen. Dagegen die Science Slammer: Sie wissen, worüber sie reden, und auch, worüber sie scherzen. Sie sind Experten auf ihrem Gebiet und können damit sowohl unterhalten als auch informieren. Wissenschaft ist faszinierend und macht Spaß (nimmt man die Hochschulpolitik einmal aus). Sie wird von kreativen Menschen gemacht. Wir brauchen keine angegrauten Pseudo-Professoren in Wissenschaftsredaktionen, die uns z. B. etwas über die deutsche Geschichte erzählen. Was wir brauchen, sind Menschen mit Herz und einer Botschaft: Leute, ich forsche! Ich erweitere unser Wissen! Und ich teile es Euch gerne mit! Wir haben solche Leute auf den Slam-Bühnen und zum Glück kommen hunderte von Menschen jedes Mal, um ihnen zuzuhören. Nicht umsonst werden viele Slammer von den Medien abgeworben oder veröffentlichen selbst Bücher. Spätestens der Slam bringt uns bei: Wissenschaft, die Quatsch macht, kann so viel besser sein, als Wissenschaft, die sich selbst zu ernst nimmt. Deswegen bin ich froh und stolz dabei zu sein und ich möchte einfach jeden animieren: Wenn Ihr Bock habt, traut Euch! Es könnte das Beste sein, wofür ihr euch je entschieden habt.
Tausche ich für nichts in der Welt -
Der Sieg beim Vorentscheid in Bochum 2015
Science Slam macht man intensiv ein, vielleicht zwei Jahre. Danach gehen die meisten wieder ihren „ernsten“ Jobs nach. Viele müssen auch endlich ihre Doktorarbeit fertig schreiben. Ich persönlich trete auch ein wenig kürzer (obwohl der hochgeschätzte Moderatorenkollege Niklas Fauteck mir das nicht glaubt), weil ich mich natürlich auf meine Bücher konzentrieren will. Aber ich sehe auch nicht, dass ich Einladungen zu Slams, sollten sie terminlich machbar sein, ablehnen würde. Es macht einfach immer noch zu viel Spaß. Deswegen geht mein letzter Dank hier an Sven-Daniel Gettys, Carsten Brinsa und alle Mitarbeitern von Luups. Mit euch zu arbeiten ist immer wieder ein großes Vergnügen. Auf die nächsten 40! (gepostet: 1.3.2018)