Während die Filme der Marvel-Studios Figuren aus ihrem Universum, so wäre „The New Mutants“ sicher so etwas wie das Phantom. Seit Jahren hängt das Plakat im UCI-Duisburg, Ankündigungen, erste Trailer, aber immer wieder wurde der Filmstart verschoben. Als erster Horrorfilm von Marvel wurde er angepriesen, als ein Ende der X-Men-Reihe, das wie ein Anfang wirkt. So lange die Wartezeit war, so unauffällig schien nach der Corona-Pause der tatsächliche Kinostart erfolgt. Und als wenn auch die Journalisten nichts damit anfangen könnten, häufen sich nun die Kritiken, von denen keine überschwänglich ist, die aber auch alle unterschiedliche, teilweise gegensätzliche, Aspekte kritisieren. Ich war schon lange neugierig und habe mich daher direkt zum Starttermin ins Kino begeben.
Die junge Cheyenne-Indianerin Danielle Moonstar (Blue Hunt) ist die einzige Überlebende nach einer fürchterlichen Katastrophe in ihrem Reservat. Sie wacht in einem Raum auf und sieht sich der Ärztin Cecillia (Alice Braga) gegenüber, die ihr erklärt, dass sie in einem Krankenhaus für Jugendliche mit außergewöhnlichen Begabungen ist. Schnell lernt sie die anderen Insassen kennen. Rahne (Maisie Williams) ist ein Wolfsmädchen, Roberto (Henry Saga) ein lebender Feuerball, Sam (Charlie Heaton) besitzt die Eigenschaften einer Kanonenkugel und Illyana (Anya Taylor-Joy) Zauberkräfte. Keiner von ihnen weiß genau, was in dem Hospital vor sich geht und die Ärztin hält sich bedeckt, macht aber Andeutungen, dass sie im Auftrag der X-Men handelt. Noch weiß niemand, was die Fähigkeiten von Danielle sind, aber es deutet sich an, als alle Insassen Alpträume bekommen. Und schließlich wird Cecillia angewiesen, Danielle zu liquidieren, da sie zu gefährlich sei. Das schweißt die anfangs zerstrittenen „New Mutants“ zusammen.
Um es gleich vorweg zu nehmen: So ein richtiger Horrorfilm ist „New Mutants“ nicht. Er hat seine Momente, die aber verharren eher auf durchschnittlichem Grusel-Niveau. Auch der Coming-of-Ager-Aspekt, der hier und da Vergleiche mit „ES“ provoziert, ist eher hintergründig. Vielmehr haben wir es hier mit einem Film zu tun, der mich an Geschichten wie „The Girl with all the gifts“ oder „Das Morgan-Projekt“ erinnert. Jugendliche haben außerordentliche Fähigkeiten und man versucht sie zu bändigen. Darüber lernen sie ihre Gaben wirklich zu nutzen. Dabei mochte ich an dem Setting besonders, dass es sich im Wesentlichen auf die sechs Figuren und rein räumlich auf das Hospital beschränkt. Während andere Marvel-Produktionen auch gerne mal in fernen Galaxien spielen, könnte man diesen Film auch fast als Theaterstück aufführen. Das macht die Verantwortung für die einzelnen Schauspieler natürlich größer und in dieser Hinsicht empfand ich niemanden als wirkliche Enttäuschung. Maisie Williams (Game of Thrones) und Anya Taylor-Joy (Split, Glass) bilden eine schöne Zange aus Freundschaft, Liebe und Misstrauen und Angst um die Protagonistin, während die männlichen Vertreter eher später wichtig werden. Ihre Beziehungen sind nicht sonderlich tiefgründig, aber schön inszeniert, und lassen mich bei diesem Film fast von einem Fantasy-Abenteuer sprechen, das ein paar Gruselmomente á la Guillermo del Toro als Bonus bietet.
So ist „New Mutants“ eigentlich ein schöner Film, der den Spektakel-Faktor ein wenig zurücksetzt zu Gunsten einer ganz unterhaltsamen Geschichte. War der letzte X-Men-Film „Dark Phoenix“ für viele inklusive mich selbst eine Enttäuschung, kann man hier getrost ein wenig Geld und ca. 100 Minuten Zeit investieren. Über die Funktion des Films im X-Men- bzw. Marvel-Universum kann man sicherlich vortrefflich streiten, aber das möchte ich anderen überlassen. (gepostet: 11.9.20)