Die Sneak Preview wird für mich immer mehr zum heimlichen Star des Kinos in den Zeiten von Startzeitverschiebungen. Schon letzte Woche kam mit Eine Frau mit berauschenden Talenten ein toller Film, der mit Sicherheit im normalen Kinoraum untergegangen wäre. Oft wird das Multiplex hier zum Programmkino, wo man ebenfalls mehr oder weniger unbedarft einen Film auswählt und meistens positiv überrascht wird. Gestern hab es im UCI Duisburg „Vergiftete Wahrheit“ zu sehen. Mit Vorankündigung hätte ich mir den sicher nicht angeschaut, denn er erzählt wahre Begebenheiten, was ich grundsätzlich ja nicht sehr schätze. Aber da sieht man mal wieder, was einem wegen eigener Vorurteile so alles entgehen kann.
1998 bekommt Robert Billiot (Mark Ruffalo), seines Zeichens Unternehmensanwalt in einer renommierten Kanzlei in Cincinnati, einen Hilferuf eines Farmers aus seiner Heimatstadt in West-Virginia. Der Farmer beschuldigt den Chemie-Giganten Dupont, das Wasser und damit seine Tiere zu vergiften. Mehr aus Mitleid und Nostalgie denn aus Überzeugung nimmt sich Billiot dieses Falls an und stößt damit auf einen Gegner, der mit allen Mitteln versucht, sich gegen jede Vernunft durchzusetzen.
Es passiert mir eher selten, dass ich nach einem Film im Kino noch mit offenem Mund dasitze und um Fassung ringe. In diesem Fall war es so. Man muss diesen Film auf zwei Ebenen beschreiben. Die erste ist die der Wirklichkeitsnähe. Denn Robert Billiot kämpft tatsächlich bis heute vor Gericht gegen Dupont und bemüht sich, jedem einzelnen der über 3000 Fälle von Geschädigten finanzielle Genugtuung zu verschaffen (so wird es im Film erzählt). Weiterhin ist die Umweltverschmutzung durch die Chemikalie PFOA (wird u. a. bei Teflon verwendet) bereits so weit verbreitet, dass 99% aller Lebewesen auf der Erde diesen nicht abbaubaren und Krebs erregenden Stoff in sich tragen. Und um alles auf die Spitze zu treiben, wird erläutert, dass es noch mehr als 600 weitere ähnliche Chemikalien gibt, die keiner Kontrolle unterliegen. Angesichts dieser Fakten möchte man seine Corona-Maske von sich werfen. Das liegt aber auch am Film selbst. Gerade die Szenen auf der Farm des betroffenen Bauern sind eindringlich, intensiv und in höchstem Maße beklemmend. Der entbehrungsreiche Kampf des Anwalts spiegelt sich in seiner Entwicklung, wie auch in der seine Frau (Anne Hathaway) wieder und sorgt angesichts des oft am Rande des Legalen agierenden Konzerns nicht selten für echte Empörung beim Zuschauer. Dabei erzählt der Film insgesamt auf eine eher ruhige und sachliche Art seine Geschichte. Er ist auf allzu reißerische Effekte nicht angewiesen, weil er um die Stärken seiner Geschichte weiß.
So ist „Vergiftete Wahrheit“ wirklich ein packender, beunruhigender und zugleich richtig gut gemachter Film. Er sollte, nachdem er in den USA bereits letztes Jahr angelaufen ist, bei uns am 20. April erscheinen. Nun kommt er endgültig und ich kann ihn jedem ans Herz legen. Denn er ist tatsächlich in der Lage, die eigene Sichtweise auf die Gegenwart ein wenig zu korrigieren. Und das ist für mich das Beste, was ein Film erreichen kann. (gepostet: 1.10.2020)