The Doors - Waiting for the sun (1968)

 

 

1. Hello, I love you

2. Love street

3. Not to touch the earth

4. Summer's almost gone

5. Wintertime love

6. The unknown soldier

7. Spanish caravan

8. My wild love

9. We could be so good together

10. Yes, the river knows

11. Five to one

 

 

Ehrlich gesagt bin ich mir bis heute nicht sicher, ob man bei einigen Bands Ende der 60er Jahre von einer Unterbewertung sprechen kann, sind doch „The Who“ oder „The Doors“ mehr als feste Größen in der Musikgeschichte. Doch angesichts der alles überstrahlenden Beatles und der Zusammenfassung einiger etablierter Musiker mit One-Hit-Wondern unter den Begriffen „Woodstock“ und „Flower Power“ lasse ich mich ab und zu zu einem solchen Gedanken hinreißen. Deswegen schreibe ich über dieses Album, nicht weil die Genialität von "The Doors" eine sonderlich neue Erkenntnis wäre, sondern weil diese Aussage immer noch weniger inflationär ist als viele anderen aus dem Bereich der Musik Ende der 60er Jahre.

 

Der Kult insbesondere um den Leadsänger Jim Morrison wurde Anfang der 90er erneut durch das spielfilmische Bandportrait angeheizt. Zumindest dadurch ist die Band auch im Gedächtnis meiner Generation präsent, wenn auch mehr verkörpert durch den Hauptdarsteller Val Kilmer als durch Morrison selbst. Dennoch, wenn man sich den Film ansieht und dann die Musik hört, so ergibt sich ein stimmiges Bild. „The Doors“ waren von einem einzigen Gedanken geprägt: das Bewusstsein zu erweitern, ihr eigenes (wozu sie dem Vernehmen nach einige Hilfsmittel verwendet haben) als auch das ihrer Generation. Bemerkenswert ist bei diesem Ansinnen, dass sich zu diesem Zweck vier ausnehmend begnadete Musiker zusammengetan hatten, die in der Synthese ihrer Instrumente einen Sound entdeckten, der bis heute so unerreicht wie unverwechselbar ist. Melancholie und Extase sind die Zustände des Bewusstseins, in denen sich ihre Musik abwechselnd bewegt, wobei sie sowohl ein Händchen für eingängige Hits als auch für opuleskere Stücke hatten, wie ihr selbstbetiteltes Debütalbum eindeutig zeigt. Dennoch bleibt für mich ihr drittes Album das eigentlich bahnbrechende.

 

"Waiting for the sun" ist dem Vernehmen nach kein Konzeptalbum, dennoch sei hier den Doors  insofern eine Aufwartung gemacht, als dass wir es hier mit eine übergreifenden Thema zu tun haben, dass seine absolut meisterliche Vertonung findet: Das Warten auf die Sonne, will sagen, auf die Erleuchtung. Das ist das Thema der Band und zugleich das Thema ihrer Zeit, in der neue Gedanken, neue Einflüsse und das Brechen von Tabus letztlich zu einer freiheitlicheren Auffassung von Gesellschaft und Kultur geführt haben (man betrachte nur die mannigfaltigen Ausprägungen der New-Age-Bewegung).

 

Natürlich begann die Etablierung einer neuen Gesellschaftsordnung mit der jugendlichen Neugier nach dem anderen Geschlecht, so dass die „freie Liebe“ zugleich die erste Assoziation ist, mit der man heutzutage die damaligen Jungspunde belegt. Auch „Waiting for the sun“ beginnt mit diesem Thema. Die ersten beiden Lieder „Hello, I love you“ und „Love street“ erzählen von dieser Sehnsucht nach neuen Erfahrungen. Zugleich sind es zwei Stücke, die das Talent der Band für anspruchsvolle und doch eingängige Hymnen zeigt, wie sie in meiner Musikwelt vielleicht sonst nur noch Queen und (manchmal) die Beatles hatten. Doch schon der dritte Song „Not to touch the earth“ zeigt, wieviel tiefer und ausgebreiteter die Bedürfnisse waren. Es geht um das Chaos, das auf der Grenze zwischen einer alten und einer neuen Weltordnung liegt. Alles muss man hinter sich lassen, den Boden auf dem man geht und die Sonne, nach der sich alles richtet. Dabei sind die nahezu kakophonischen Klänge der Strophen nur zusammengehalten von Morrisons Stimme, die sich im Laufe des Liedes immer weiter steigert und im Refrain immer wieder auffordert: „Run with me!“

 

„Summer’s almost gone“ und „Wintertime love“ etablieren dann endgültig auch die Melancholie. Traurig klingen die Grübeleien, was nach einem Sommer voller guter Zeit letztlich übrigbleiben wird, beantwortet mit dem schönen Gedanken, dass man sich ja auch im Winter verlieben könne, tanzend, im Dreivierteltakt, so lässt sich die Kälte zumindest aushalten. Mehr so nebenbei, könnte man sagen, etablieren die Doors auch das Thema Krieg in „The unknown soldier“ und runden damit das Spektrum der Generation ab. Spätestens also nach der Hälfte des Albums weiß man Bescheid, was die Menschen damals bewegt hat.

 

Nun haben wir es hier mit einem Album zu tun, das der Vinyl-Logik folgt, will sagen, es gibt eine Seite A und eine Seite B. Letztere eröffnet, nachdem die Band das Fundament ihrer Gedankenwelt freigelegt hat, mit einem atmosphärischen Highlight allererster Güte. „Spanish Caravan“ verdichtet ein Thema spanischer Gitarren zu einem Song, der die beste Child-in-time-Zeiten von Deep Purple vorwegnimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der junge Richie Blackmore dieses Lied nicht mindestens eintausend Mal gehört hat. Eine knapp dreiminütige Traumwelt breitet sich aus, in der die Sehnsucht mit urknallverdächtiger Dichte wabert und sich immer wieder entlädt. Und als wenn das noch nicht genug wäre, folgen mit „My wild love“ schamanenartige Klänge einer exotisch fremden Zeremonie. Diese Band träumt ihre Musik.

 

Zurück auf der Erde nimmt „We could be so good together“ thematisch wie musikalisch noch einmal Bezug auf den Anfang der Platte, eingängig, ohrwurmverdächtig. Den melancholischen Höhepunkt setzt die Band dann mit dem genialen „Yes, the river knows“. Selten ist die alkoholgeschwängerte Traurigkeit an einer Bar musikalisch so gut umgesetzt worden.

 

Der letzte Song ist zugleich auch der längste, ebenso wie auf dem ersten Album das heute noch viel zitierte „The End“, obwohl dieses Mal keine elf Minuten lang. Sollte aber niemanden stören angesichts der Tatsache, dass „The Doors“ mit „Five to one“ noch einmal alles aus sich herausholen. Wie grandios muss dieser Song live gewesen sein? Für mich ein ganz heißer Kandidat für die Liste der besten Album-Finalsongs der Musikgeschichte. Das instrumentale Arrangement reißt einen bis zum Ende mit und wer wissen will, was Jim Morrison zu so einem Ausnahmesänger gemacht hat, nämlich sein unfassbarer Ausdruck in der Stimme, muss sich einfach nur dieses Lied anhören.

 

Bums, Finale, das war’s! Wer nach dem Durchlauf dieses phantastischen Stückes Musik noch daran zweifelt, dass „The Doors“ eine der kreativsten, eigenständigsten und brillantesten Bands aller Zeiten sind, sollte wirklich lieber wieder einen Flower-Power-Sampler hören und weiterhin glauben, der Woodstock-Generation wäre es nur darum gegangen, Blumen im Haar zu tragen. Dieses Album ist ein Stück Zeitgeschichte und nebenbei auch eine Zeitmaschine, die einen viele Jahre zurückträgt und es verstehen lässt. Und das zu schaffen, ist für mich, auch in meinem Schreiben, das Größte, das man erreichen kann.