Full Circle - Last exit to Rock 'n' Roll (Weltpremiere: 12.9.2018)

„Ich bin ein Musiker aus der zweiten Reihe. Aber wenn das so ist, dann will ich der lauteste sein, der die Fahne schwenkt und der mit ganzen Herzen dabei ist.“

 

Dieser Satz aus dem Film hat mich am meisten beeindruckt. Für Andy Brings hat sich in diesem Jahr sein Lebenstraum erfüllt. Er ist mit seiner Band Double Crush Syndrom als Support von Skid Row auf Tour gewesen. Hier schloss sich für ihn ein Kreis, der irgendwann um das Jahr 1980 einmal begonnen hat, als er als Teenager bemerkte, dass er anders ist. Leben bedeutet für ihn Musik, Musik bedeutet für ihn Rock ‘n‘ Roll und Rock ‘n‘ Roll ist für ihn Kiss, Iron Maiden, die Ramones und später dann Skid Row: „Can’t be king of the world if you’re slave to the grind“ (Skid Row, Slave to the grind), sinngemäß: Man kann nicht König der Welt sein, wenn man ein Sklave des Räderwerks ist.

 

Das ist die Botschaft, die Andy Brings auch nach fast 30 Jahren Karriere im Musikgeschäft der Welt zu geben hat. Und wer ihn kennt, wer seine Karriere verfolgt hat, der weiß, dass die letzte Szene des Films, in dem er Skid Row und seine Mutter um sich zu einem „full circle“ vereint, tatsächlich die Erfüllung seines bisherigen Strebens bedeutet.

 

Deswegen heißt der Film „Full Circle“. Gestern (12.9.2018) war Weltpremiere in der Essener Lichtburg. Schon bei der Ankunft erkennt man den Spirit des Rock ‘n‘ Roll, wie Andy Brings ihn lebt. Ein roter Teppich ist ausgerollt, doch nicht für ihn, sondern für alle Gäste, denn jeder einzelne Zuschauer bedeutet ihm etwas. Natürlich kommt er selbst auch über den roten Teppich, aber das liegt daran, dass er einen geborene „Rampensau“ ist, wie er selbst von sich sagt. Wenig später tritt er auf die Bühne des schönsten Kinosaals Deutschlands und was passiert mit ihm? Ihm fehlen die Worte. Er ringt um Fassung, dass er nun dort steht und seinen Film präsentiert, der natürlich nicht seiner ist, sondern das Werk der vielen Helfer, die er um sich gescharrt hat. Brings ist ein beinharter Arbeiter, der auch alles selbst machen würde, und so jedem dankbar ist, der ihm hilft.

 

Wie er arbeitet, habe ich zumindest einmal erleben dürfen. Er war Ehrengast bei der Premierenlesung meines Buches Traumschrott. Wir haben zusammen eine Geschichte mit verteilten Rollen gelesen. Eine Woche vorher rief er mich an, und fragte, wann wir denn proben würden. Ich hatte noch nie für eine Lesung geprobt, aber tatsächlich trafen wir uns innerhalb einer Woche noch zweimal, um zu üben. Auf der Lesung erschien er dann mit seiner Mutter, weil er wollte, dass sie erlebt, wie er, der in der Schule nix mit Büchern am Hut hatte, Teil einer Literaturveranstaltung sei. Und er vergaß nicht, sich mindestens dreimal bei mir zu bedanken, dass er dabei sein darf. ER dankte MIR! Ich ringe noch heute um Fassung deswegen.

Andy Brings auf der Premierenlesung zu "Traumschrott" (2016)

Gegen halb neun öffnet sich also in der Lichtburg der Vorhang und der Film beginnt. In dem, was Andy mir im Vorfeld über den Film erzählte, habe ich eine Art Retrospektive seiner durchaus beeindruckenden Karriere erwartet. Aber das war es nur bedingt oder, man könnte sagen, nur spirituell. Sein Rauswurf bei Sodom war natürlich Thema, weil an diesem Tag, wie er selbst sagt, „dieses Monster in mir geboren wurde“. Darüber hinaus ist auch in diesem Film Programm, was der rote Teppich draußen schon symbolisierte. Im Film lässt Brings Menschen, die ihm viel bedeuten, über ihre Einstellung zum Leben erzählen. Er bietet ihnen eine Bühne, um zu zeigen, von welchen Menschen und Gedanken er inspiriert wurde. Sie sind für ihn die Stars. Natürlich spricht er selbst auch, aber er ist eben nur ein Teil des Ganzen, so wie er sich selbst immer sieht.

Die Botschaft ist nicht schwer, wird im Film immer wieder, mit unterschiedlichen Facetten, wiederholt: Höre auf dein Herz, egal was andere sagen. Lass dich von dir und dem, was du liebst, immer wieder inspirieren, egal wie verzweifelt du in manchen Momenten auch bist. Sei stark, steh auf, kämpfe, bleib dir treu. Du bist nicht allein!

 

Diese Botschaft ist der eigentliche Star des Films. Ich glaube, selten in der Musikgeschichte ist ein Musiker in einem Werk über sein Leben als Person so stark in den Hintergrund getreten. Das ist es, wofür Andy Brings steht, wenn er sagt „Ich bin ein Musiker aus der zweiten Reihe“. Aber was er zu sagen hat, ist Front-Stage-würdig, Wacken bei Dämmerung, 75000 Leute. Denn für diese Botschaft tut er alles, kehrt sein Innerstes nach außen, zieht blank vor allen Leuten. Das ist Rock ‘n‘ Roll.

 

Dieser Film ist nichts für Skandalnudeln und Klatschmäuler, die sich an intimen Details über Andere aufgeilen, um sich darüber aufzuregen und ihre eigene Unzulänglichkeit zu vertuschen. Dieser Film ist einer für Menschen mit Selbstzweifel, Eigenreflektion, einer Lebensvision, die ihnen alles abverlangt, harte Arbeiter, die ihren Lohn nicht immer bekommen, sondern ihn auch oft aus dem ziehen müssen, was ihnen ihr Traum selbst bedeutet. In diesem Film sagt Andy Brings: „Hey, ich bin wie ihr. Ihr seid nicht alleine!“

 

Dieser Film ist der Sieg eines Menschen und Künstlers über seine Selbstzweifel. Und jedem, der ihn nicht persönlich kennt, möchte ich sagen: Nach dem Film kennt ihr ihn. Er ist nicht anders. Egal, wann und wo ihr ihn einmal trefft, er wird genauso sein. Und wenn ihr ihn trefft und euch der Film gefallen hat, so geht hin und sagt es ihm. Sagt ihm, dass der Film euch inspiriert hat und dass er das ausgesprochen hat, was ihr selbst fühlt. Wenn ihr das tut, dann wird ihm das nicht viel weniger bedeuten, als die Tour mit Skid Row. Deswegen ist „Full Circle“ einer der bemerkenswertesten Filme, die ich jemals gesehen habe. (gepostet: 13.9.2018)

Stehende Ovationen für Darsteller und Macher. Danke, Andy, dass ich dabei sein durfte!