Die dunkelste Stunde (Start: 18.1.2018)

Quelle: www. filmstarts.de
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Wenn man das Ende des Zweiten Weltkriegs als die Geburtsstunde des heutigen Europa bezeichnen will, so wäre die Ernennung von Winston Churchill zum britischen Premierminister am 10. Mai 1940 und seine ersten Regierungstage so etwas wie die Empfängnis. So zumindest sehen es manche Historiker und auch ich empfinde Churchill als einen der entscheidenden Politiker des 20. Jahrhunderts. Zumal selten in der Geschichte ein Land so sehr von einer Kriegsniederlage profitiert hat wie (West-)Deutschland nach 1945. So finde ich, gerade in Zeiten von erstarkenden extremen Parteien und Brexit, den Film „Die dunkelste Stunde“ über eben jene „Empfängnis“ wohlweislich platziert. Sehenswert ist er allein schon deswegen, weil man sich durchaus einmal daran erinnern kann, dass Europa noch vor einigen Jahrzehnten ein weit weniger gemütlicher Ort mit weitaus größeren Problemen war als heute.

 

Der Inhalt des Films ist schnell erzählt. Es beginnt am 9. Mai 1940, im Vorfeld der Ernennung Churchills zum Regierungschef. In den eigenen Reihen und beim König ist er unbeliebt, lediglich die Opposition setzt auf ihn. Schon am zweiten Tag denkt man ob seiner harten Haltung gegenüber Nazi-Deutschland wieder über seine Absetzung nach. Besonders unter Druck gerät er, als die britische Armee bei Dünkirchen eingekesselt wird und es eigentlich keine Chance gibt, sie noch heil auf die Insel zurückzubringen. Von Zweifeln gezeichnet will er schon einlenken, als der König ihm in einem privaten Gespräch seine Unterstützung zusichert und auch die Menschen außerhalb seines Kriegskabinetts nicht mit Hitler verhandeln wollen. Schließlich hält er seine berühmte Rede, in der er versichert, dass Großbritannien sich niemals den Nazis ergeben wird.

 

Als Historiker weiß ich sehr gut, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, wie Ereignisse in der Vergangenheit wirklich passiert sind. Daher bewerte ich diesen Film auch eher in seiner Art, wie er eine Geschichte erzählt und das macht er wirklich gut. Ein nicht wieder zu erkennender Gary Oldman holt einen Winston Churchill aus der Kiste, der gewitzt, schrullig, manchmal auch unbeholfen, aber besonders immer nach seinen Überzeugungen agiert. Mit dieser Mischung entgeht der Film geschickt der Gefahr übermäßiger Heroisierung und ebenso wenig kommt er zu detailverliebt daher. Es wird im Wesentlichen dargestellt, was bekannt ist, wenn auch unter der Maßgabe, dass die Person Churchill wirklich die entscheidende Rolle gespielt hat. Aber das darf man auch gerne mal so sehen. Außerdem wird der Spannungsbogen, trotz genretypischer Längen, durchaus den ganzen Film über gehalten und steigert sich gegen Ende mit einigen wirklich schönen und rührend inszenierten Szenen, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Und ja, natürlich gibt es am Ende auch ein wenig Pathos. Aber das empfinde ich persönlich nicht als störend. Denn der Film erzählt nicht Geschichte, sondern mehr eine Geschichte und sichert sich somit einen Wahrheitsgehalt, der auf weniger auf wissenschaftlicher, denn auf literarischer Aufrichtigkeit unter Berücksichtigung historischer Gegebenheiten basiert. Das hat mir sehr gefallen.

 

Gary Oldman hat seinen Oskar für die beste Hauptrolle, da gibt es sicher nicht viel dran zu meckern. Außerdem gab es natürlich den für die Maske. Kritiker bemängelten, dass der Film mehr Anspielungen auf die heutige Situation im Verhältnis zwischen dem Königreich und Europa hätte eingehen sollen. Aber vielleicht kann man das auch einfach mal jedem selbst überlassen. Der Kinogänger jedenfalls hat über zwei Stunden Geschichte ohne Unterricht, aber umso mehr mit der Erkenntnis, dass unser heutiges Europa keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein hohes Gut, das zu schützen sich lohnt. Denn wenige Menschen in der Geschichte hatten das Glück, in so reichen und friedlichen Zeiten zu leben wie die heutigen. (gepostet: 12.8.2018)