Als ich Anfang des Jahres mit meiner Kollegin Sarah über Facebook, Twitter und Instagramm sprach, drückte sie mir einen Zettel in die Hand. Sarah ist in unserer Bibliothek für den Auftritt in den sozialen Netzwerken zuständig und ihr Zettel trug die Überschrift „Online Marketing – Vorsätze für 2018“. Seit diesem Tag habe ich ihn neben mir auf meinem Schreibtisch liegen. Was da alles draufsteht! Von Videos erstellen, mit Micro-Influencern kooperieren über Monitoring bis hin zu eigenem Newsletter. Um all das soll man sich kümmern, damit es läuft bzw. damit es liked, teilt, kommentiert und retweeted, dass die Schwarte kracht. Und natürlich mit jeder Menge süßen, kleinen Emojis!
Je nach Institution und Unternehmen wird Online-Marketing heute sehr unterschiedlich gewichtet. Für die einen ist es der Job für den Mitarbeiter, der straffrei während der Dienstzeit auf Facebook sein will, es ist Ehrenamt, Nebenjob, Teilaufgabe, Full-Time-Job bis hin zu Unternehmen, die ganze Abteilungen nur mit dieser Aufgabe betrauen. Aber was ist es für den ambitionierten Hobby-Autor? Diese Frage stelle ich mir natürlich und ich habe schon etliche Tage und Wochen Lebenszeit mit der Erstellung von „Content“ (Texte, Bilder, Videos) sowie mit dessen Einrichtung und Verbreitung zugebracht. Das beste Beispiel ist natürlich jetzt, da ich diesen Text schreibe. Seit über zwei Jahren habe ich diese Homepage, mein Facebook-Profil ist sogar noch viel älter und seit Anfang 2018 bin ich auch bei Twitter. In dieser Zeit habe ich einige Beobachtungen gemacht, die ich hier gerne mitteilen möchte und die mich letztlich zu einer Antwort auf die Frage führen, wie viel Zeit meiner Freizeit ich vom Geschichten Schreiben abzweigen soll, um mich um das „Online-Marketing“ zu kümmern.
Ein Blogger (m/w) blogt, ist immer gewitzt und schlagfertig, postet viele Texte mehr als einmal, kommentiert, liked, retweeted, herzt, smileyt, kissedet, netzwerkt, und postet manchmal Beschwerden über Dinge oder Zustände, die zumindest alle im Netzwerk auch scheiße finden. Das macht den Status eines Bloggers aus. Welchen Charakters dieser oder jener Blogger ist, merkt man zumeist an seinem Hang zum Posten. Auf einer gedachten Skala würde ich sie nach den Kriterien „Content-orientiert“ und „post-orientiert“ bemessen. Ich will das einmal kurz darstellen.
Zunächst zu den „Content-Orientierten“: Auf Twitter habe ich zwei Bloggerinnen kennengelernt, deren Artikel ich regelmäßig mit Interesse und Gewinn lese. Fashionsqueens Diary schreibt, anders als der Name es zu suggerieren scheint, über viele Aspekte des Lebens und auch des Schreibens. Sie sind mir nicht immer neu, aber stets aufschlussreich, schön auf den Punkt geschrieben, so dass sie implizites Wissen auch wieder in Erinnerung rufen können. In dem Blog Leuchtfarbenspiel gibt es u. a. etwas unerhört Nützliches, nämlich Steuertipps für freischaffende Autoren. Da die Betreiberin vom Fach ist, würde ich das als nahezu unentbehrlich sehen. Darüber hinaus ist sie auch Autorin, insofern das Beste aus beiden Welten. Im Falle dieser beiden ist es so, dass sie in der Tat fast nur richtigen Content in den sozialen Medien posten, also Texte ihrer Blogs, die sie geschrieben haben. Teilweise mehrmals, aber immer so, dass es möglichst niemand verpasst, den es interessieren könnte. Ich finde das gut und teile viel von ihnen, auch wenn ich nicht immer alles lese. Einfach nur, weil mir diese Art gefällt.
Auf der anderen Seite gibt es die „Post-Orientierten“. Sie beherrschen das Spielen auf der Social-Media-Klaviatur augenscheinlich aus dem FF. Auch wenn sie nur ein Herzchen posten, haben sie zwei- bis dreistellige Like-Zahlen, etliche Teilungen und Retweets und man bekommt wirklich alles von ihnen mit. Vielleicht ist es auch ein Netzwerk von Sich-Gegenseitig-Likern, das habe ich noch nicht so rausbekommen. Auf jeden Fall ist mein Twitterprofil regelmäßig voll davon, weshalb ich die meisten wieder „endfolge“, es sei denn, sie wirken auf mich sympathisch. Denn mit solchen Posts verdrängen sie die, die mich eigentlich interessieren, und das ist doch ärgerlich. Aber die Reaktionen scheinen ihnen prinzipiell erst einmal Recht zu geben. Die Frage für mich ist nur, wenn ich mit meinem Blog bekannt werden will, wofür möchte ich stehen? Für den exzessiven Umgang mit Emojis? Das sollte man sich gut überlegen, finde ich, denn es hat auch seine Schattenseiten.
Unter den Youtubern gibt es den Fall „Drachenlord“, eigentlich der Betreiber eines Kanals zum Thema Heavy Metal, der irgendwann begann, unter dem Namen „Lustlord“ offenherzig, aber recht unbeholfen, über seine sexuellen Vorlieben zu sprechen, und sich damit wohl eine bessere Verbreitung erhoffte. Leider machte er den Fehler, irgendwann seine wahre Identität Preis zu geben und, wie man hört, wird er inzwischen jahrelang von Unbekannten terrorisiert. Unter manchen Youtubern hat es sich gewissermaßen zu einer Art Sport entwickelt, ihm aufzulauern, ihn fertig zu machen, teilweise zu verprügeln und das für den eigenen Kanal auf Video aufzunehmen. Solche Videos haben dann zehnmal mehr Klicks als die des "Lords" und mir dieser Aussicht steigt die Anzahl seiner Peniger immer weiter an. Eine solche Berühmtheit möchte wohl keiner.
Nicht immer ist Bescheidenheit eine Zier, aber aus meiner Sicht sollte man sich immer gut überlegen, welche Menschen man mit seinem Content ansprechen will. Denn genauso wenig wie seine Verwandtschaft kann man sich seine "Fans" aussuchen. Das sollte man berücksichtigen, wenn man überlegt, an welchem Punkt der Content-Post-orientiert-Skala man ganz genau verortet sein will.
Bei Autoren würde ich prinzipiell dieselbe Unterscheidung machen wie bei Bloggern. Mit einer Ausnahme: Der Blogger macht einen großen Teil seiner Arbeit, wenn er sich online darstellt. Der Autor muss erst noch sein Buch schreiben. Und da liegt irgendwo der Knackpunkt: Wenn ich schreibe, kann ich nicht posten und wenn ich poste, kann ich nicht schreiben. Also was tun für das Online-Marketing?
Die einfachste Lösung ist, über den eigenen Schreibfortschritt zu posten. Machen auch viele und es gibt prinzipiell nicht viel daran zu meckern. Was mich als ebenfalls Autor nur wundert: Kann man tatsächlich das Voranschreiten eines Buches an der Anzahl der Zeichen bemessen, die man in die Tastatur eingegeben hat? Also ich nicht, denn ich überarbeite meine Geschichten so häufig und so intensiv, dass die Anzahl der Zeichen, die ich tippe, nicht die geringste Aussagekraft hat. Ehrlich gesagt kommen mir diese Posts stets wenig professionell vor und so, als wenn sich ein Autor zum Schreiben zwingen müsste. Dann kann er doch gleich seine Zeit anders verbringen.
Wesentlich spannender finde ich es, wenn sich verschiedene Autoren zu einem bestimmten Zeitpunkt via Internet vernetzen und gleichzeitig schreiben. Die Schreibnacht auf Twitter ist so ein Beispiel. Die Teilnehmer posten abends Fotos, von ihrem Schreibtisch zum Beispiel, und am nächsten Morgen erfährt man, wie es gelaufen ist. So eine Art des gemeinsamen Schreibens finde ich eine gute Idee, sofern die Leute natürlich wirklich schreiben, oder schlafen, aber das ist auch sinnvoller als über das Schreiben zu posten.
Darüber hinaus gibt es natürlich auch Neuigkeiten, die ein Autor zu vermelden hat. Eine Lesung, ein neues Buch, einen Beitrag oder sonst etwas, das er neben dem Schreiben in seiner Eigenschaft als Autor macht, wie ich zum Beispiel über Kino, Filme, Bücher oder Musik. Ich poste über das, was mich beim Schreiben inspiriert. Da sollte man als Autor nicht tatsächlich vergessen, rechtzeitig die „Schwarmintelligenz“ zu informieren. Was ich manchmal etwas bizarr finde, sind Posts mit Fotos von unterschriebenen Verträgen oder solche, die beginnen mit „Mein Agent hat mir gestern gesagt …“. Klar, jeder will Verträge und Agenten haben und wer das schafft, kann auch durchaus stolz darauf sein. Aber offizielle Dokumente oder Geschäftsgespräche für das Online-Marketing zu verwenden? Nun, ich finde es fragwürdig, zumal es immer etwas prahlerisch und aufgesetzt klingt. Außerdem erscheint es mir ebenfalls unprofessionell. Ich folge einigen bekannten Autoren in den Netzwerken und keiner von ihnen hat das nötig.
Aber letztlich sollte wohl bei Autoren die Regel gelten: Wenn man etwas postet, sollte es auch eine Neuigkeit sein. Sonst können sie sich besser einen Blog anschaffen. Mit den Eigenarten des "Social Media" muss man dann eben leben. Ein einfacher Post nach dem Motto „Nazis raus“ hat nun einmal wesentlich mehr Verbreitung und Resonanz als „Ich habe ein neues Buch geschrieben“. Akzeptiert es! So lange die Leute, die Euer Buch potentiell lesen würden, auch erfahren, dass es ein neues gibt, ist das kein Problem. Und Likes verkaufen keine Bücher, das ist zumindest meine Erfahrung.
In diesem Zusammenhang ist auch das Thema bezahlte Werbung, z. B. auf Facebook interessant. Wahrscheinlich hat sich jeder schon einmal im Stillen gefragt, ob er das nicht machen soll. Ich habe es bei At Dawn They Sleep gemacht und ich kann sagen: Aufwand und Ertrag sind tatsächlich eher schwer in Einklang zu bringen. Natürlich, die Aufmerksamkeit wurde größer, aber ob sich damit auch nur ein einziges Buch mehr verkauft hat, kann ich nicht ermessen und steht auf einem anderen Blatt. Ich würde es, denke ich, heute nicht mehr machen, denn allein der Vermerk „gesponsert“ stört mich und ich selbst klicke sehr selten gesponserte Links an.
Online Marketing ist in meiner Arbeit als Autor Werkzeug, kein Selbstzweck. Das denke ich, aber muss ich es mir auch immer wieder selbst sagen. Denn das Schreiben ist ein einsames Hobby. Für jeden wohl. Man sitzt allein vor dem Rechner und haut in die Tasten. Wer hat da nicht ab und zu das Bedürfnis, von Menschen, von denen eine gewisse Anzahl erwiesenermaßen keine Social Bots sind, gelobt, gesmiled und geherzt zu werden? Dieses Bedürfnis erreicht mich zumindest immer wieder und in diesen Momenten erwische ich mich dabei, wie ich manchmal eine halbe Stunde Schreibzeit nur dasitze und über einen möglichst populären Post sinniere. Aber dieser Seelenschmeichelei sollte man auch nicht zu viel Aufmerksamkeit widmen.
Denn genau das ist die Emoji-Falle! Likes sind zwar viel schöner als strenge und ehrliche Testleser, aber bringen gar nichts. Dagegen setzt die Kritik und die Auseinandersetzung, so hart sie im ersten Moment ist, neue, teilweise unbekannte Kräfte frei. Sie wirkt nachhaltig und führt zu besseren Geschichten. Wenn die dann fertig sind, kann ich mich dann wieder der Verbreitung in den sozialen Netzwerken widmen. Dann aber umso intensiver! Denn ich will, dass die Menschen wissen, wenn ein neues Buch von mir erscheint und wenn ich irgendwo lese. Dafür sorge ich. Zwischendurch ein paar Kinorezensionen oder ein Text wie dieser, um zu entspannen und um nicht gänzlich in der Versenkung zu verschwinden. Darüber hinaus kann ich nur sagen: Je weniger man von mir hört, desto intensiver arbeite ich. So soll es in meinen Augen bei einem Autor sein. Und wenn es soweit ist, genieße ich die Herzchen umso mehr! (gepostet: 8.6.2018)
Nachtrag: Aus diesem Artikel hat sich ein tolles und produktives Gespräch zwischen mir und der Autorin Olga Krouk entwickelt, das meine Gedanken wunderbar ergänzt hat. So habe ich sie gefragt, ob sie einen Gastbeitrag schreiben würde und ich freue mich sehr, dass sie es getan hat. Lest also auch Emoji-Flut? Ja, bitte! Aber bitte richtig von Olga Krouk. (17.6.2018)