Fan-Fiction - Ein Schreibanfang im Graubereich?

 

ein Gastbeitrag von Julia Cirkel

 

Julia Cirkel studiert derzeit Soziologie an der Universität Duisburg-Essen. Zuvor hat sie neben ihrem Abitur eine schulische Ausbildung zur Biologisch-technischen Assistentin abgeschlossen und zwei Semester Mensch-Technik-Interaktion an der Hochschule Ruhr-West studiert. Ihre bisherigen Schreibversuche erfolgten im Bereich der Fan-Fictions oder stellten Erfahrungsberichte zu Alltagssituationen dar, welche sie unter dem Synonym „cirkjuli“ veröffentlichte. Den Drang zum Schreiben entwickelte sie nach ihrem Schulwechsel 2014, welchen sie seit 2020 wieder aktiver auslebt. In ihrer restlichen Freizeit, welche nicht aus Lesen, Schreiben und Knobeln besteht, ist sie in der Messdiener- und Pfadfinderarbeit ihrer Heimatgemeinde tätig.

 

Als Leserin und Autorin von Fan-Fictions begleitet mich die Frage seit meiner ersten Geschichte: Inwiefern sind Fan-Fictions eine rechtliche Grauzone des Schreibens? Oft genug habe ich mit Freund*innen, welche ich über die Plattformen kennengelernt habe oder von denen ich wusste, dass sie auch Fan-Fictions schreiben, im privaten Rahmen darüber diskutiert, ob das Teilen unseres Hobbys rechtens sei, ob wir unsere Fantasie mit anderen in den gegebenen Universen teilen dürften. Zusätzlich kriegte man als FF-Autor*in früher in dieser Kategorie, außerhalb der geschaffenen Bubble, zu hören, dass Fan-Fictions keine ernstzunehmende Geschichten seien und sowieso eher nur sexueller Natur sein. Nur mit Scham teilte man mit Fremden sein Hobby, da man automatisch in eine Schublade gesteckt wurde.

 

Mittlerweile hat sich diese Einstellung über die Jahre geändert und Fan-Fictions werden ernster genommen. Dieser Text ist folgend aufgeteilt: In dem ersten Teil wird im Allgemeinen der Begriff „Fan-Fiction“ erläutert und ihre Historie. Der zweite Teil beschreibt den Sinn hinter diesen Texten und warum sie geschrieben werden. Abschnitt 3 befasst sich mit den rechtlichen Grundlagen des Urheberrechts und wie Fan-Fictions dazu gesehen werden. Abschließend erfolgt mein persönliches Fazit zudem Schreiben von Fan-Fictions.

 

Definition und Historie: Fan-Fiction (FF): von Fans geschriebene Geschichten zu Fandoms oder realen Personen. Sie greifen auf bereits existierende Serien, Bücher, Videospiele und noch vieles mehr zurück. Bereits geschriebene Charaktere werden in die Welt und die Ereignisse des/der FF-Autor*in geworfen und müssen sich ungewöhnlichen Situationen stellen. Als ein Beispiel die deutsche Plattform FanFiktion.de: Hier gibt es insgesamt 601.612 Geschichten, wovon 418.026 FFs sind. Dies macht rund 69,5 % der Inhalte der Plattform aus. Die restlichen Beiträge bestehen aus freien Arbeiten, wie Prosa, Poesie und anderen Projekten. (Stand: 20.01.2022) Auf der internationalen Plattform Wattpad sind z.B. mehr als 94 Mio. Nutzer*innen unterwegs und verbringen im Monat knapp 23 Milliarden Minuten auf jener. Der Markt für FFs und Freie Arbeiten scheint groß zu sein und Interessierte weltweit zu haben. Von Kurzgeschichten bis zum endlosen Romanprojekt findet man jede Art von Geschichte, ob in einem bestimmten Fandom oder an freien Arbeiten. Doch seit wann gibt es Fan-Fictions eigentlich? FFs sind schon älter als man denkt. Bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts tauchten FFs in kleiner Kreisen zur damaligen Literatur auf, bspw. zu Sherlock Holmes. In den 60ern gewannen sie an Größe, waren jedoch bis zur Mitte der 90er nur schwer zu finden. Dank des Internets wurde der Zugang zu den Geschichten vereinfacht und das Interesse an diesen wuchs an. Die unausgesprochene Regel: Es gibt nicht wirklich Regeln bei FFs, was erlaubt ist oder was nicht, stattdessen Hinweise darauf, wie man mit bestimmten Themen (Rassismus, Vergewaltigung etc.) umzugehen hat. Doch eine Regel, welche als selbstverständlich in den Foren gilt, findet sich auf allen Plattformen wieder: FFs sind nicht für den kommerziellen Erwerb da.

 

Was ist der Sinn hinter diesen Geschichten? Wer hat noch nie eine Bücherreihe, Serie etc. beendet und hatte darauf gehofft, noch weitere Abenteuer mit den liebgewonnenen Charakteren zu erleben oder selbst Teil dieser Welt zu sein? FFs ermöglichen es, weiter in diese

Welt einzutauchen und selbst Teil dieser Welt zu sein. Ob man selbst mit Harry, Ron und Hermine durch die Flure Hogwarts wandert oder seinem Lieblingsship (Shipping; Liebesbeziehung zwischen zwei Charakteren, welche im Original eventuell nicht existiert) mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es im Originalwerk bekommen hat. Alles ist möglich. So kann eine jugendliche Volleyballmannschaft auf einmal in einer Welt leben, in welcher eine Zombieapokalypse ausgebrochen ist oder Drachen Realität sind, obwohl das zugrundliegende Ursprungswerk nichts mit diesen Thematiken zu tun hat. Im Allgemeinen geht es darum, die Geschichten weiterzuspinnen und seine eigenen Ideen, die beim Lesen oder Schauen entstanden sind, zu verschriftlichen und diese mit anderen Leuten aus dem Fandom zu teilen. Dafür können zusätzliche Charaktere entwickelt werden, welche in diese Welt eintreten und mit den vorhandenen Charaktere interagieren. Auch ein Weg eine FF zu schreiben ist, dass man ein Detail am Anfang des Originalwerks verändert und somit die Geschichte einen komplett anderen Verlauf nimmt. Ein Beispiel hierfür ist die FF „Harry Potter and the Methods of Rationality“ von Less Wrong. Die Geschichte erzählt von dem Zauberschüler, wenn seine Tante Petunia nicht Vernon Dursley geheiratet hätte, sondern einen anderen Mann, und Harry in liebvollen Verhältnissen aufgewachsen wäre. Less Wrong’s FF ist im Kreise der Fan-Fiction-Welt international bekannt geworden und es gibt unzählige autorisierte Übersetzungen in den unterschiedlichsten Sprachen, welche Leser*innen angefertigt und veröffentlicht haben. Eine weitverbreitete Buchreihe basiert sogar auf einer FF. E.L. James „Fifty Shades of Grey“ war ursprünglich eine Twilight-FF und erst vor der Veröffentlichung kam es zu Veränderungen des Plots und der Charakternamen.

 

Aber warum galten Fan-Fictions als ein rechtlicher Graubereich? Wie schon am Anfang erwähnt, basieren die Geschichten auf den Werken anderer und es galt somit eine Urheberrechtsverletzung nach §14. Schließlich bedienen sich FF-Autor*innen an geistigem Eigentum anderer ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Doch ein Großteil der Autor*innen und Produktionsfirmen gehen nicht rechtlich gegen das Veröffentlichen der FF-Autor*innen vor und lassen sie gewähren. Einige von ihnen freuen sich auch über die Kreativität der Fans, welche jene in ihren Werken ausleben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Autor*innen, die rechtliche Schritte einleiten lassen und den Gedanken daran, dass Fans mit denen von ihnen geschrieben Charakteren eigene Geschichten schreiben, als schrecklich empfinden. Als bekanntes Beispiel gilt hier die Autorin Anne Rice. Doch die Einführung des Artikel 17 der Urheberrechtsreform der EU brachte Änderungen in diese Grauzone. In Deutschland zählen FFs laut der Umsetzung der Urheberrechtsreform nicht mehr als Verletzung jener Rechte der Autor*innen und das Veröffentlichen ist somit legal geworden. Es wird erst dann kritisch und rechtlich relevant, wenn die FF-Autor*innen diese Werke mit einem kommerziellen Zweck veröffentlichen.

 

Fazit: Ist es schlimm Fan-Fictions zu schreiben? Meiner Ansicht nach eignen sich FFs als ein guter Einstieg in die Welt des Schreibens. Die schreibende Person kann ihre Fantasie in einem bereits existierendem Universum ausleben, in welchem die Rahmenbedingungen schon vorgegeben sind. Geschichten mit Zeitsprüngen können in den Köpfen der schreibenden Personen ausgelebt werden und mit anderen geteilt werden. Man taucht noch tiefer in die Welt und ihrer Charaktere ein, was dazu führen kann, dass man dieses Universum noch mehr zu lieben weiß. Außerdem ist es für viele der erste Schritt zum Schreiben. Die schreibende Person lernt über die Zeit, wie sich die verschiedene Charakter im Gespräch mit anderen verhalten. Sie lernt, wie man eine Geschichte aufbaut, unabhängig davon wie sie ihre Geschichte plottet. Im besten Fall kommen von den Leser*innen noch Schreibtipps, welche im weiteren Verlauf umgesetzt werden können, auch wenn sie am Anfang schmerzlich sein können. Mit der Zeit kann die schreibende Person ein Gefühl für Wortzusammensetzung, Geschichts- und Charakterentwicklung entwickeln. Dieses gewonnenen Erfahrungen und Fähigkeiten können dazu dienen eigene Welten und Geschichten entstehen zu lassen oder mit seinen Ideen weiter FFs zu schreiben und der Geschichte dort mehr Tiefe geben zu können. Um Schreiben zu lernen, muss man sich ausprobieren und üben. Das bietet der Bereich der FFs wie kein anderer. Die Leserschaft ist bedingt schon vorhanden, da es ein aktives Forum mit Interessenüberschneidung ist und man explizit nach Geschichten aus Fandoms suchen kann. Vergleichswerke gibt ebenfalls von anderen FF-Autor*innen und im besten Fall kriegt die schreibende Person Rückmeldungen von den Leser*innen. Und durch

das Veröffentlichen kann sich nicht nur die schreibende Person bei ihrem Schreibprozess der Realität entziehen, sondern auch, je nach Schreibstil und Storytelling, welches die Lesenden subjektiv empfinden, auch eine Leserschaft aufbauen, die sich in ihren Geschichten verliert. Je mehr positive oder konstruktive Rückmeldungen kommen, desto motivierter wird die schreibende Person sein und lernt dazu. Wenn man die eigene Fantasie und Kreativität auch wie Muskeln betrachtet, können diese trainiert werden und die schreibende Person entwickelt ihre eigenes Universum, in welchem sie sich austoben kann und Geschichten erzählt. Und sind wir ehrlich, wer in diesem Bereich schreibt, ob gut oder schlecht, lebt seine/ihre Leidenschaft, welche die Autor*innen mit dem Original bei einem geschaffen haben, in diesen Fandoms aus und teilt sein/ihr Inneres mit anderen, welche genauso stark für diese Welten brennen wie man selbst

 

(gepostet: 10. Juli 2022)