Amy MacDonald - This is the life (2007)

 

1. Mr. Rock and Roll

2. This is the life

3. Poison Prince

4. Youth of today

5. Run

6. Let's start a band

7. Barrowland Ballroom

8. L. A.

9. A wish for something more

10. Footballer's wife

 

 

Als Musikenthusiast gleicht meine Passion manchmal der eines Goldschürfers, der sich durch Tonnen von Musikgeröll wühlt, um vielleicht ab und zu auf eine Goldader zu stoßen. Besonders kommt mir dieses Bild stets im CD/DVD/Bücher-Discount in Hagen in den Sinn, wo Regalmeter an Regalmeter voller Alben sich aneinanderreihen und man eigentlich Stunden bräuchte, um alles durchzusehen. Meistens überfliege ich nur die vorderen Exemplare. Die CDs kosten einen Euro pro Stück, also kann man durchaus mal einen Blindkauf wagen. Da passiert es manchmal, dass ein echter Kracher dabei ist, selten, zugegeben, aber es kommt vor. Bei einem meiner Besuche fiel mir jene CD ins Auge, von der ich nur das Titellied kannte, aus dem Radio, aber auch von dem Umstand her, dass ich bei den Freunden von Layment auf ihren jährlichen Akustikshows gelegentlich am Schlagzeug sitzen durfte. „This is the life“ war einer der Titel, den ich mit ihnen gespielt habe, viel zu schnell, dass muss ich zugeben, aber wir hatten Spaß.

 

Also kaufte ich mir das Album mit dem in dezentem Braun gehaltenen Retrolook, auf dessen Cover eine 19jährige Schottin nachdenklich auf ihrer Gitarre lehnt. Ich hörte es einmal, ich hörte es zweimal, im Auto meistens und merkte, dass mich gewisse Melodien im Kopf weiter verfolgten, nachdem ich die Autotür hinter mir geschlossen hatte. Dann begann ich mich für die Texte zu interessieren und erkannte, dass sie vielleicht nicht sonderlich subtil oder poetisch, aber in jedem Fall authentisch und äußerst empathisch sind. Auf einmal sah ich das Jugendzimmer in Bishopbriggs, wo sie größtenteils entstanden sein müssen, sah ein junges Mädchen, das, wenn sie nicht gerade Gitarre übt, mit ihren Freunden unterwegs ist, ein hübsches Mädchen zwar, aber keine Prinzessin, sondern eine, die auf die Frage ihres Produzenten, ob sie die Lieder wirklich selbst geschrieben hat, mit eine zünftigen „I bloody well did“ antwortet. Sie ist ein Kumpeltyp, eine, mit der man nächtelang durchquatschen kann. Ins Fußballstadion kommt sie natürlich mit und es sind eher die ruhigen Männer, die mit ihr ausgehen wollen, nicht die Paradiesvögel, aber das will sie auch gar nicht. Ihre Ansichten haben sich bereits in der Jugend gefestigt, eine Frau von einem gewissen Selbstbewusstsein, mit einem unbestreitbaren Hang zur Nachdenklichkeit, die sich nicht leicht zu irgendwelchen Dingen überreden lässt. Sie mag gemütliches Beisammensitzen, vielleicht auch tanzen, aber leider wird in den Diskotheken selten ihre Lieblingsmusik gespielt. Sie himmelt ihre Lieblingsmusiker an und leidet mit ihnen, wenn es ihnen schlecht geht. Unter Freunden ist sie offenherzig und redet viel, in der Öffentlichkeit eher ruhig, denkt sich ihren Teil und schreibt, anstatt mir ihrer Meinung hausieren zu gehen, lieber Texte und Lieder.

 

Genau das ist es, was ihr Album erzählt, und genau das macht „This is the life“ für mich zu einem absoluten Meisterwerk. Man sieht sie förmlich in ihrem Zimmer sitzen, Bücher in einem Regal, ein Notenständer mit einem aufgeschlagenen Heft und daneben ein dicker Stapel Notenbücher, mit Lesezeichen womöglich. Ein paar Klamotten liegen in der Ecke, denn wenn sie in ihr Zimmer kommt, nimmt sie sich nicht die Zeit, sie aufzuhängen oder zu falten. Sie stürzt sich auf ihre Gitarre. Auf ihrem Bett liegt ein Stofftier, dem sie den Namen „Andy“ gegeben hat, weil es ihr erster Lieblingsmusiker war und ihre Inspiration, sich selbst das Gitarrespielen beizubringen. Sie übt täglich, ihre Lieblingslieder vor allem, und es gibt da auch ein paar Dinge, die ihr durch ihren jugendlichen Kopf gehen, Dinge aus ihrem Alltag. Manchmal schreibt sie Lieder darüber. So muss „This is the life“ entstanden sein, alleine der Titel suggeriert das.

 

Es beginnt also in ihrem Zimmer. Schon die ersten Töne von „Mr. Rock and Roll“ erzählen von Traum und Tragik, die große Liebe zu finden oder zu spät zu treffen, auf eine fröhliche Art und Weise, denn „There’s a happy ending every single day“. Nein, das Leben besteht nicht, wie viele laut „This is the life“ behaupten, aus dem Rockleben, das am Morgen mit dickem Kopf aufwacht und nicht weiß, wo es am Abend schlafen wird. Sie beobachtet dies zuweilen bei ihren Freunden und gibt zu bedenken, dass es noch mehr im Leben geben muss (ohnehin ein häufiger Gedanke in ihren Liedern). Ihr „Poison Prince“ Pete Doherty ist doch das beste Beispiel dafür, mit so viel Talent gesegnet und doch so zugenebelt und umnachtet von all den Drogen und der Presse, die ihn bis auf den letzten Blutstropfen aussaugt. Lass alles hinter Dir, sagt sie ihm, und mach einfach nur deine Musik.

 

Dann aber wagt sie sich ein wenig aus ihrem Zimmer heraus und sagt als erstes den älteren Menschen ihre Meinung, die herumtönen, die „Youth of today“ habe kein Benehmen. Ruhig, aber mit Bestimmtheit führt sie ihnen vor Augen, dass deren Jugendzeit vorbei ist („it’s not your days anymore“) und die Jugend heute nun einmal anders und dazu stolz darauf ist. Aber auch in ihrem Alter gibt es Zweifler, die keinen Sinn im Leben sehen. Denen erzählt sie in „Run“, dass sie einfach leben und lieben will bis das letzte bisschen Sinn verschwindet, auch wenn es manchmal weh tut und einem das Herz bricht. Ihre wahre Leidenschaft ist die Musik. Egal welche, ob mittelalterlicher Barde oder gefeierter „Glastonbury-Star“, sie will einfach nur Musik machen und wenn man dasselbe will, dann wird keinen Moment gezögert: „Let’s start a band“.

 

Dass die ihrer Stimme eigene traurige Nachdenklichkeit kein Schicksal ist, beweist sie uns, wenn sie von ihrer Traumnacht im Glasgower Club „Barrowland Ballroom“ erzählt, wo sie mit ihren Freunden oder ihrem Liebsten einfach nur die ganze Nacht durchtanzen kann und alles andere auf der Welt egal wird. Glücklich ist sie in ihrer schottischen Heimat, auch wenn sie manchmal sehnsüchtigen Blickes nach „L. A.“ schaut, wo ein Junge namens J, angeblich der Schauspieler Jake Gyllenhaal, wohnt. Sie würde ihm gerne dorthin folgen, doch am Ende des Liedes konstatiert sie, dass sie es einfach nicht braucht. Denn ihre wahre Liebe findet sich doch in ihrem Freundeskreis, ein nicht gerade ordentlich aussehender, einsamer Junge, der eigentlich ihr wohl bester Freund ist. Mit ihm verbringt sie viele sorgenfreie Stunden, besonderrs draußen in der Natur. Doch im Inneren empfindet sie so viel mehr für ihn und wünscht sich in „A wish for something more“ märchenhafte Romantik mit ihm.

 

Schließlich findet sie sich in ihrem Zimmer wieder und schaut im Fernsehen nachdenklich und ein wenig traurig dabei zu, wie ein „Footballers wife“ von ihren Problemen erzählt, während Genies wie James Dean oder Fred Astaire heutzutage keinen Menschen mehr interessieren.

 

Es ist egal, ob meine Charakterisierung wirklich zutrifft, im Wettglänzen und Wettglamouren der Sängerinnen heutzutage sticht Amy MAcDonald herrlich heraus. Sie wirkt derartig authentisch, dass ich selbst in den Posen auf ihren offiziellen Promotionfotos eine gewisse Scheu erkennen möchte, wenn der Fotograf ihr Anweisungen gibt. Natürlich ist sie inzwischen fast 30 und hat Millionen von Platten verkauft, etliche Preise abgeräumt und den Ruhm bis zu ihrem Nervenzusammenbruch 2012 wohl auch mehr oder weniger ausgekostet. Mit großem Respekt sehe ich auf ihr Gesamtwerk, doch ihr Debüt bleibt für mich bis dato das Meisterstück, mit der sie der Welt nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

 

„This is your life“ hat die 19jährige Amy in Stein gemeißelt und noch in 200 Jahren werden Menschen, die diese Musik hören, wissen, wie eine 19jährige am Anfang des 21. Jahrhunderts getickt, was sie bewegt und womit sie sich beschäftigt hat. Mögen die Kritiker an ihr zweites Album „A curious thing“ und an ihr drittes „Life in a beautiful light“ ruhig wieder ihre gewöhnlichen Maßstäbe anlegen. Das Debüt ist über jede Kritik, es sei noch etwas unausgereift, teilweise durch Streicher etwas kitschig arrangiert, in hohen Lagen würde sich die Stimme überschlagen und sie sei generell zu reif und nahezu unglaubwürdig für ein Mädchen dieses Alters, erhaben. Hört Euch das Album an und versucht herauszufinden, wo das Gefühl herkommt, aus der in sich ruhenden Ehrlichkeit und Authentizität, die in jedem Ton mitschwingt. Wenn man diesen Zustand erreicht, wird man Meisterwerke schaffen, ob musikalische, künstlerische oder eben schriftstellerische. Da bin ich mir sicher. Und wenn mich wieder einmal der Zweifel bezüglich meiner Texte einholt, diese Indifferenz, die nicht einmal mehr sagen kann, ob er gut oder schlecht ist, weil dafür einfach alles viel zu profan erscheint, brauche ich mir nur dieses Album anzuhören und weiß: Gut ist nur das, was aus dir selbst kommt, also schalte den Kopf ab und fühle, was Dich im Innersten bewegt.