Schau dir mal die Wolken an

Eine Kurzgeschichte von 

Vianne Niegemann

 

Vianne Niegemann studiert Biologie an der Universität Duisburg-Essen. Obwohl sie schon immer viel gelesen und auch selbst geschrieben hat, besuchte sie im Wintersemester 22/23 zum ersten Mal ein Schreibseminar.  Dieses inspirierte sie zu vielen Kurzgeschichten, darunter diese über eine Maus und einen Elefanten:

 

„Ich bin froh, durch das Seminar und die vielen positiven Feedbacks und tollen Geschichten der anderen Teilnehmer wieder zum Schreiben gefunden zu haben.“

 

 

„Schau dir mal die Wolke an.“, sagte die Maus zum Elefanten.

 

Sie lag entspannt auf seinem Rücken, während er durch die Savanne stapfte. Seine Füße ließen Staubwolken aufwirbeln und das gemächliche Schwanken verleitete die Maus zum Träumen.

Schon seit einigen Stunden betrachteten sie die Wolken. 

 

„Die da sieht aus wie ein Krokodil, das einen Mittagsschlaf hält.“

 

Elefant schaute hoch zum Himmel, schmunzelte als er erneut das von der Maus beschriebene Bild in der Wolke erkannte: „Du hast recht. Und schau mal die da vorne, die sieht aus wie ein Zebra, das sich auf die Hinterbeine stellt.“ 

 

Maus lachte freudig, als sie die Wolke entdeckte. Aufgeregt krabbelte sie noch höher und setzte sich auf Elefants Kopf: „Ich liebe es, mit dir Wolken zu beobachten, Elefant!“

 

Dieser stimmte ihr zu: „Ich finde es auch super, Maus.“

 

Maus rutschte jauchzend den Kopf von Elefant hinunter und er fing sie mit dem Rüssel aus der Luft und setzte sie wieder auf seinen Kopf. „Was meinst du, was wir auf der Reise noch alles erleben werden, Elefant?“, fragte Maus, ihre Stimme bebte vor Erwartung.

 

„Ich habe von riesigen Wasserfluten gehört, die von Felsen stürzen und riesigen Flächen voller Wasser, deren Ende man nicht sehen kann.“

 

„So viel Wasser?“, Maus staunte nicht schlecht, als sie das hörte, „kannst du mir noch mehr erzählen?“

 

Elefant lächelte in sich hinein, während er weitererzählte: „Ich habe von Bäumen gehört, deren Stämme so dick wie zehn Elefanten sein sollen und die bis in den Himmel hineinwachsen. Und es soll Länder geben, in denen kaltes Wasser in allen möglichen Formen vom Himmel fällt.”

 

Maus sah all diese wundervollen Geschichten vor sich am Himmel vorbeiziehen, ihr kleines Herz schlug schnell vor Aufregung.

 

„Es soll riesige Steinhaufen geben auf deren Spitze man über den Wolken stehen kann und endlos weite Grasflächen mit Blumen, die in allen möglichen Farben erblühen.”

 

Maus seufzte sehnsüchtig: „Die Welt da draußen klingt so groß, bunt und aufregend. “

 

Plötzlich war sie ganz still. Elefant wartete einige Momente. Normalerweise war Maus nie lange so leise, sie redete gerne und ihr fiel immer etwas neues Verrücktes ein, was sie unternehmen könnten. „Maus?”, fragte Elefant besorgt, „ist alles in Ordnung?”

 

Maus schwieg kurz. Dann hörte Elefant ihre Stimme, traurig und leise piepste sie: „Was wenn ich das alles nicht erleben kann?”

 

Elefant verstand nicht, wovon sie redete. „Wie meinst du das?”

 

„Naja. Ich bin eine Maus. Mein Leben ist nicht so lang wie deines Elefant. Ich werde nie die ganze Welt und all ihre Abenteuer entdecken können.” Sie seufzte traurig: „Ich hätte viel lieber ein ganz, ganz langes Leben.”

 

Elefant widersprach: „Aber Maus. Ein langes Leben heißt doch nicht unbedingt, dass man mehr von der Welt sehen kann. Denk doch mal an Frau Schildkröte. Die lebt schon seit hunderten von Mondwechseln und hat trotzdem ihr ganzes Leben hier in der Wüste verbracht.”

 

„Aber sie hat trotzdem so viel Zeit. Denk doch mal an Herrn Eintagsfliege Elefant. Der lebt kaum einen Tag. Meinst du, der hat viel von der Welt gesehen?”

 

Elefant versuchte, Maus aufzumuntern: „Aber als wir ihn kennengelernt haben, war er doch nicht unglücklich, oder?”

 

Maus musste Elefant zustimmen. Herr Eintagsfliege war eines der zufriedensten Tiere gewesen, das sie auf ihrer Reise kennengelernt hatten.

 

„Siehst du Maus. Es kommt nicht darauf an, wie lange man lebt, sondern nur darauf, was man aus der Zeit macht, die man bekommt.”

 

Maus war trotzdem noch traurig: „Aber ich würde so gerne fliegen können, wie Frau Geier. Dann könnte ich die Welt von oben sehen. Oder schwimmen wie Herr Karpfen. Der ist unter Wasser blitzschnell und dort kann man bestimmt noch viel Neues entdecken.”

 

„Natürlich sind das auch wundervolle Gaben, die die beiden bekommen haben. Aber dafür können sie nicht so schnell laufen wie du. Oder werden nicht satt, wenn sie einen leckeren Samen finden. Herr Karpfen muss im Wasser bleiben, sonst kann er nicht atmen. Würdest du lieber ein Karpfen sein?”

 

Maus antwortete nachdenklich: „Nein, das würde mir nicht gefallen. Das Wasser im Fluss ist manchmal so dreckig und kalt.”

 

Elefant erzählte weiter: „Und Frau Geier erzählt doch immer, wie anstrengend es ist zu fliegen und dass sie viel lieber Beine hätte, so wie wir.”

 

„Das stimmt”, meinte Maus, „dann wär ich eben gerne so wie du. Du bist groß und stark und hast ein langes Leben.”

 

Elefant lächelte: „Weißt du Maus. Ich wäre auch manchmal gerne so wie du. Du bist klein und flink. Du kannst die Welt ganz anders sehen als ich. Du kannst mit deinen Verwandten den Untergrund erforschen und du passt in ganz kleine Schlupflöcher rein. Ich würde mich manchmal auch gerne verstecken, genau wie du, aber dafür bin ich zu groß.”

 

Maus wunderte sich: „Warum willst du dich denn verstecken? Du brauchst doch vor gar nichts Angst zu haben! Du bist doch so groß.” 

 

„Groß zu sein heißt nicht, dass man keine Angst hat Maus. Jeder hat mal Angst.”

 

Maus staunte und wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.

 

Elefant erzählte weiter: „Es ist gar nicht wichtig, wer du bist. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Jeder hat mal Angst und jeder hat seine Träume. Es ist nur wichtig, was du aus deinem Leben machst.”

 

Seine Worte motivierten Maus und nahmen ihr die Angst vor der Zukunft, während sie ihm gebannt lauschte. 

 

„Wenn du die Welt entdecken willst, dann lass uns das gemeinsam tun und so viel Neues kennenlernen, wie wir können. Aber denk dabei nicht daran, was du nicht sehen kannst, sondern...”

 

Maus unterbrach ihn freudig: „Sondern genieße das, was du erlebst!”

 

Elefant freute sich, seine Freundin wieder glücklich zu wissen. „Genau.”

 

„Elefant?” Maus Stimme war wieder so ruhig, dass Elefant schon dachte, dass sie wieder traurig war.

 

„Ja?” 

 

„Können wir immer Freunde bleiben?”

 

„Natürlich.”, lächelte Elefant erleichtert. 

 

Die Wolken über ihnen formten ein Bild von zwei unzertrennlichen Freunden, einem Elefanten und einer Maus, während die beiden gen Sonnenaufgang reisten.

 

(gepostet: 10. März 2023)