Eine Kurzgeschichte von Sude Kesik
Von klein auf schon begeistert Sude Kesik sich für Geschichten aller Art, egal ob es die Gute-Nacht-Geschichten waren, die sie als Kind vorgelesen bekommen hat, oder die zahlreichen Anekdoten ihrer Familienmitglieder. Im Laufe ihres Studiums besucht sie dann diverse Schreibseminare, welche in ihr den Wunsch erwecken, die Geschichten, die sie sich ausgedacht hat, zum Leben zu erwecken und auf Papier zu bringen. Ihr Ziel dabei ist es Welten, Charaktere und Geschichten zu erschaffen, die alle Arten von Emotionen erwecken und Lesenden in Erinnerung bleiben.
Bild: Sude Kesik
„Kannst du bitte noch einmal unter dem Bett nachschauen?“, höre ich die Stimme des
Kindes sagen.
„Da ist nichts, geh jetzt schlafen, Ich lass auch das Licht im Flur an“, antwortet der Vater. Typisch Erwachsene.
Der Vater und das Kind sagen einander noch einmal 'Gute Nacht' und schon geht das
Licht aus. Bis auf uns ist nur noch das Kind im Raum. Es dauert ein paar Minuten,
dann hört man nur noch das gleichmäßige Ein- und Ausatmen, was bedeutet, dass es
nun endlich schläft. Ich öffne die Tür meines Versteckes um einige Zentimeter, so dass
ich perfekte Sicht auf das Kinderbett habe.
Ganz langsam, kaum sichtbar, kommen unter dem Bett lilafarbene Klauen hervor. Alles,
was man nun hört, ist ihr Kratzen am Fußboden. Neben der Nachttischlampe erscheinen ein paar gefährlich glühender Augen. Im Dunkeln leuchtend, sieht es so aus, als
würden sie mich verfolgen, aber mir ist bewusst, dass sie sich eigentlich auf das Kind
richten. Durch den Lüftungsschacht hört man ein kratziges Atmen. Es schallt und hört
sich so an, als würde jemand, oder etwas, einem direkt in den Nacken atmen. Ein
Schauer läuft mir über den Rücken, während ich immer noch das Kind beobachte.
Plötzlich sehe ich, wie sich aus der dunklen Ecke des Zimmers ein dunkler Schatten
erhebt. Wie aus dem Nichts kristallisiert sich aus der Dunkelheit eine menschenähnliche
Form, die sich geradewegs auf das Kind zubewegt. Sie bewegt sich komplett lautlos und
wird mit jedem Schritt größer. Am Bett angekommen hebt der Schatten langsam die Hand
und versucht, nach dem Kind zu greifen. Dann sehe ich, wie die lila Klauen wieder unter dem
Bett hervorkommen und den Schatten am Bein packen. Er taumelt
rückwärts. Aus dem Lüftungsschach greifen nun sieben gelbe Tentakel nach dem
Schatten und halten ihn fest. Ich sehe, wie er versucht, sich aus der Umklammerung der Tentakel zu winden und sich schließlich befreit. Der Schatten rast zu dem Kind. Er wird immer
größer und größer bis er fast komplett die Ecke des Kinderzimmers mit dem Bett
eingenommen hat. Er hebt erneut die Hand und versucht das Kind zu greifen. Langsam
bewegt sich die Hand des Schattens in Richtung des Kopfes. Es hat das Kind schon fast
berührt und dann …
Nichts.
Der Schatten ist weg. Ich bewege meinen Kopf in Richtung des mit gelben Blumen
verzierten Nachtlichts, welches von dem Monster hinter dem Nachttisch eingeschaltet
wurde. Ganz leise atme ich erleichtert auf.
Aus dem Schacht klettert nun das gelbe Monster und starrt in meine Richtung.
„Weist du, du könntest uns das nächste Mal ruhig helfen!“, lässt es mich wissen.
„Ach was, Ich finde das habt Ihr auch ganz gut ohne mich hinbekommen.“, stichele ich
zurück.
„Ich kann es nicht glauben, das ist schon die dritte Nacht in Folge, in der die Eltern
vergessen haben das Nachtlicht anzuschalten. Licht im Flur bringt irgendwie nicht so
viel, wenn die Tür sowieso zu ist.“, höre ich das Nachttischmonster aufgebracht
flüstern.
Jetzt, da das Nachtlicht brennt, sieht es auch nicht mehr so bedrohlich aus, eher
wie eine Katze mit Hörnern, würden die Menschen, glaube ich, sagen. So viel
Temperament in so einem kleinen Körper. Süß irgendwie. Zu guter Letzt kommt der
pelzige, lilafarbene Riese unterm Bett hervor. Mit den grünen Punkten auf dem Fell sieht
auch Mub – kurz für „das Monster unterm Bett“, gar nicht mehr so bedrohlich aus.
„Hör mal Mub, du musst aufhören deine Nägel mit dem Laminat zu feilen, die
Geräusche die dabei entstehen sind echt unerträglich für meine Ohren“, gibt das
Nachttischmonster von sich.
Schließlich öffne ich die Schranktür und steige aus meinem Versteck. Ich bin das Monster aus dem Schrank und die anderen hier, das ist meine Familie. Es mag zwar nicht so scheinen aber wir beschützen das Kind, vor den Schatten der Dunkelheit, Schatten, die Traurigkeit und böse Träume bringen. Wir sorgen dafür, dass sie das Kind nicht erreichen. Aber nur solange uns das Kind noch braucht. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem das Kind alt genug ist und keine Angst mehr
haben wird. Das Kind braucht uns dann nicht mehr, um es vor den Schatten zu
beschützen, denn dann kann es dies ganz alleine. Und wir? Was mit uns geschieht, weiß
ich nicht. Manche sagen, es gibt einen anderen Ort, an den wir kommen, ein Ort, an dem
alle anderen Monster, die es vor uns gegeben hat, auf uns warten. Ob das stimmt, weiß ich
nicht. Das Einzige, was Ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich Angst davor habe. Ich habe
Angst vor dem Tod. Und Ich habe Angst vor dem, was danach kommt. Was, wenn wir nur
in Vergessenheit geraten und einfach nicht mehr existieren? Ich habe Angst, meine
Freunde irgendwann das letzte Mal zu sehen, ohne zu wissen, dass es das letzte Mal sein
wird. Vor all dem habe ich Angst. Das Monster aus dem Schrank hat Angst vor dem Tod,
schon ironisch, oder?
Ich schaue zu meinen Freunden hinüber. Ich weiß nicht, ob diese Gedanken sie auch
plagen, aber ich hoffe, dass dem nicht so ist. Es ist ein bedrückendes Gefühl, Angst vor
etwas zu haben, was du nicht vermeiden kannst.
6 Jahre später:
Ich öffne meine Schranktür um einige Zentimeter. Die leuchtenden Augen gegenüber
sehen traurig aus, aus dem Lüftungsschacht kommt nur noch Schluchzen und Mub ist
seit Nächten nicht mehr aus seinem Versteck rausgekommen. Das Nachtlicht wurde seit
Jahren nicht mehr eingeschaltet und die Schatten haben irgendwie keinen Effekt mehr
auf das Kind. Das Kind wird älter, das ist uns allen bewusst und ich glaube irgendwie
wissen wir alle, dass unsere Zeit sich langsam dem Ende neigt. Ich spüre, wie meine
Existenz langsam verblasst und vermute, dass die anderen das auch fühlen. Ich steige aus
dem Kleiderschrank. Ein letztes Mal würde ich gerne meine Freunde sehen, bevor wir
"Lebe wohl" sagen. Das Nachttischmonster schaltet ein letztes Mal das Nachtlicht an und
klettert zu mir runter. Kaum geschehen gesellt sich das Lüftungsschachtmonster
dazu und nach einer Weile kriecht auch endlich Mub unterm Bett hervor. Hier sitzen wir
nun, vier Monster auf dem Kinderzimmerboden und genießen die letzten Momente
zusammen. Ich merke, wie wir immer mehr in Vergessenheit geraten und in das Nichts
schwinden. Ich schaue die anderen ein letztes Mal an und wir nehmen uns alle in den
Arm.
Ich habe Angst vor dem Tod. Ich habe Angst vor dem danach, aber ich weiß: Für ein
Leben mit den drei Monstern hier an meiner Seite, meine Freunde, meine Familie, ist es das
bestimmt wert. Jetzt ist es so weit. Gemeinsam sterben ist doch irgendwie poetisch,
oder? Ich nehme den letzten Atemzug und wir lassen einander nicht los während auch
das letzte Bisschen unserer Existenz verblasst. Ich werde euch vermissen. Lebt wohl!
Vielen Dank, Sude, für diese tolle Geschichte. Die Aufgabe war, eine Geschichte zu schreiben, die die LeserInnen sich gruseln oder traurig sein lässt. Mit dieser Geschichte hast Du beides geschafft, was ich als große Leistung empfinde! (Christian Krumm)