Iron Maiden - Somewhere in time (1986)

 

 

 

1. Caught somewhere in time

2. Wasted years

3. Sea of madness

4. Heaven can wait

5. The loneliness of a long distance runner

6. Stranger in a strange land

7. Deja-Vu

8. Alexander the Great

 

 

 

 

Man kann sich wohl kaum innerhalb der Metalszene mit einem Thema auf dünneres Eis begeben, wie die Frage nach dem besten Iron Maiden Album. Sollte man eigentlich lassen, man macht sich nur Feinde. Gut, man muss kein verbohrter 80er-Nostalgiker sein, um es im ersten Jahrzehnt ihres Erfolges zeitlich zu verorten. Sie haben mit ihrer Musik nun einmal gerade dann alles niedergemäht und wer es nicht glaubt, muss sich bloß das Meisterwerk „Live after death“ anhören. Wer danach kein Maiden-Fan ist, muss echt was an den Ohren haben. Aber die Studioalben, da scheiden sich die Geister. Da gibt es die gemäßigte Fraktion, die das beste Album irgendwo zwischen „The number of the beast“ und „Powerslave“ verortet und die Hardcore-Fraktion der „Iron Maiden“ und „Killers“, also der beiden Alben, auf denen Paul DiAnno und nicht Bruce Dickinson Sänger war. Hier noch mein Lieblingszitat von dem leider verstorbenen Fotografen Jörg Litges, der immer sagte: „Ich komm mit dem neuen Iron-Maiden-Sänger nicht klar“ – „Wieso, haben die nen neuen? Da singt doch der Dickinson.“ – „Ja, den meine ich ja.“

 

Zu beiden Fraktionen, muss ich gestehen, gehöre ich nicht. Für mich ist tatsächlich gerade das Album, womit die Band zum ersten Mal in ihrer Karriere auf wirklich harsche Kritik stieß, das beste. Die Lieder finden sich kaum auf offiziellen Live-Alben wieder, eigentlich ist mir nur eine Version von „Heaven can wait“ bekannt (Neuinformationen sind immer willkommen). Ob es an dem "skandalösen" Einsatz von Synthesizern liegt, mit denen die Band gefühlt schon 1986 das Ende der „goldenen Achtziger“ des Heavy Metal eingeläutet hat, kann ich von hier aus nicht mehr sagen. Doch sind sie für mich ein Grund für die dichte Atmosphäre des Albums und zudem durch den hochtechnisierten „Androiden-Eddie“ auf dem Cover auch noch mit einem visuellen Pendant ausgestattet, das die Platte so richtig rund macht. Zudem finden sich auf dem Cover, wie der gut informierte Maiden-Fan wissen wird, Anspielungen auf alle vorherigen Platten. Wunderbar und ein Leckerbissen für Freizeit-Nerds wie mich!

 

Da kommen wir auch schon zum wichtigsten Vorzug: Jede Sekunde der Platte klingt genauso, wie der Titel es verspricht: wie eine Reise durch die Zeit. Der Opener und irgendwie Titeltrack „Caught somewhere in time“ ist die musikalische Umsetzung dieser Reise, obwohl es textlich (wieder einmal) mehr um die dunkle Seite des menschlichen Gemüts geht (konkret wohl um den Film „Blade Runner“, aber das kann man ja bei Wikipedia nachlesen).

 

Der zweite Song war zugleich die erste Single und ist für mich der unterbewertetste Ohrwurm der Maiden-Geschichte. Eigentlich sollte „Wasted Years“ zur Standard-Zugabe bei jedem Konzert gehören. Ok, er ist weder sonderlich schnell, noch hat er diesen galoppierenden Rhythmus, der viele ihrer Klassiker auszeichnet, aber Riff und Melodie reißen dafür alles raus, wie ich finde, ebenso wie der Text: „Don’t waste your time always searching for those wasted years … realise your living in the golden years”. Hammer!

 

Ach ja, „Sea of madness“ habe ich früher immer übersprungen, weil ich direkt zu „Heaven can wait“ übergehen wollte. Gute Ansätze, aber im Endeffekt schaltet er einfach nicht in den höchsten Gang wie seine Albumkollegen. Aber egal, er fügt sich wunderbar in die Atmosphäre des Albums ein.

 

„Heaven can wait“ – was für ein grandioser Song!  Wie eigentlich alle Lieder des Albums passen hier Stimmung und Thema perfekt zusammen und dann noch der Mitsingteil in der Mitte. Mein erstes Maiden-Konzert in der Essener Grugahalle 1993 klingt mir deswegen bis heute in den Ohren. Die Nahtoderfahrung wird nicht ruhig und panisch geschildert, wie die letzten Minuten des Verurteilten bei „Hallowed be thy name“. Es ist mehr ein Aufschrei für das Leben und daher, zusammen mit „Wasted Years“, ein Lied mit positivem Inhalt, was sicher eine Besonderheit im Genre Heavy Metal insgesamt ist.

 

Ich weiß nicht, wie es Anderen geht, aber „The loneliness of a long distance runner“ ist mir ziemlich oft durch den Kopf gegangen, wenn ich einmal gelaufen bin, ob nun freiwillig oder gezwungenermaßen. So sperrig der Titel, so eingängig sind die Melodien und, auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen, so dicht und passend zum Thema ist die Atmosphäre des Songs. Wer will da noch auf Synthesizer schimpfen?

 

Und weil wir gerade bei Lebensnähe sind: Wie oft ist mir „Stranger in a strange land“ durch den Kopf gegangen? Ob neben einem abgehackten Schweinskopf auf einem Markt im russischen Saratov, ob in einem dunklen, fast menschenleeren Club in Hollywood oder in den engen, vollgerümpelten Gassen in Downtown Shanghai. Wieso die Band ausgerechnet diesen Song als zweite Single ausgewählt hat, muss man sie wahrscheinlich selbst fragen, denn es gibt sicher eingängigeres Material auf dem Album. Aber aus dem Kopf wollte er mir auch nicht gehen und zum Albumthema passt er allemal.

 

Um die Aneinanderreihung von Liedern mit einem konkreten Bezug zum eigenen Leben perfekt zu machen, behandelt „Deja Vu“, wenig subtil (aber wer braucht das schon immer?), eben genau dieses Phänomen. Niemals werde ich mir mehr denken können, dass ich eine bestimmte Situation schon einmal erlebt habe, ohne den Rest des Tages die Melodie des Refrains im Kopf zu haben.

 

Zum krönenden Abschluss des Albums gibt es dann noch „Alexander the Great“, für Historiker wie mich natürlich ein absoluter Leckerbissen. Dieses Opus, so will man es nennen, wird der historischen Figur ausgewöhnlich gerecht, wenn es auch ein paar Feinheiten gibt, die zu hinterfragen bleiben. Zu Beispiel habe ich nie herausgefunden, was konkret der „Battle of Arbela“ gewesen ist, in dem Alexander laut Text den persischen König Darios geschlagen hat. Selbst mein Antike-Prof kannte ihn nicht (auch hier sind Neuinformationen sehr willkommen). Aber wen stört‘s? Iron Maiden sind ja keine Historiker sondern Musiker und musikalisch haben sie das Leben und die Bedeutung des makedonischen Herrschers eindrucksvoll inszeniert.

 

Musik, Texte, Themen, Atmosphäre, alles passt auf „Somewhere in time“ einfach zusammen. So viele Platten sie auch sonst gemacht haben, für mich ist genau das, was mir das Wichtigste an Musik ist, ihnen vorher und hinterher nicht mehr so genial gelungen. Es begleitet mich seit nun 25 Jahren (habe es wohl so 1993 gekauft) und lässt mich einfach nicht los. Wenn ich es höre, will ich auch so etwas schaffen. Hinterlässt Musik bei mir diesen Eindruck, so habe ich sie für immer ins Herz geschlossen. Deswegen dieses Wagnis das „beste“ Iron-Maiden-Album für mich zu bestimmen. Ich hoffe, ich darf mich demnächst noch im Café Nord in Essen blicken lassen. :-)