Über das Schreiben und dem Schreiben

 

Ein Gastbeitrag von Luca Marzorati

 

Luca Marzorati studiert Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und hat das erste Mal an einem meiner Schreibseminare teilgenommen. Bücher möchte er über Philosophie schreiben, Gedichte schreibt er einfach so, meistens nachts, weil er da nicht Ukulele spielen kann. So ist sein Text auch eine Mischung aus philosophischem Ansatz und philologischem Wortspiel, womit er uns seine Gedanken über das Schreiben näher bringt.

 

 

 

 

 

 

Was ist der Wert des Schreibens? Viele Menschen schreiben tagtäglich. Für manche,

möglicherweise für die meisten, ist Schreiben reiner Pragmatismus. Es erfüllt eine Funktion. Vielleicht wollen sie sich etwas merken und schreiben sich deswegen etwas auf. Oder vielleicht schreiben sie einem guten Freund eine Nachricht. In der heutigen Zeit meistens digital. Auf einer Tastatur, vor einem Bildschirm. Für diese Menschen ist Schreiben nur ein Mittel zum Zweck. Sie haben ein kühles, distanziertes Verhältnis zu dieser Aktivität. Eine Aktivität, zu der viele große Geister ein inniges, leidenschaftliches und obsessives Verhältnis hatten. Dieser funktionalistische Zeitgeist manifestiert sich heutzutage darin, dass Leute gerne auf der Tastatur schreiben. Wie viele Menschen schreiben sich in diesem Zeitalter noch handgeschriebene Briefe?

 

Der Autor macht an dieser Stelle eine Unterscheidung zwischen "Dem Schreiben", einem kreativen und künstlerischen Prozess, und "Das Schreiben". Während "Dem Schreiben" ein schöpferischer Prozess ist, ist "Das Schreiben" ein reines Notieren von Wörtern und Sätzen. "Das Schreiben" ist ein reines Werkzeug. Deswegen auch "Das Schreiben" auf der Tastatur. Eine Tastatur ist etwas effektives, etwas technisches, etwas lebloses. Mit einer Tastatur kann man viel mehr Wörter in einer kürzeren Zeitspanne produzieren, als mit einem Stift. Produzieren; "Das Schreiben" produziert. "Dem Schreiben" erzeugt. Erzeugen ist ein schöpferischer Akt, Produzieren ist ein mechanischer Prozess ohne Seele. Es ist funktionalistisch und pragmatisch. Aber was ist mit dem Idealismus des Schreibens, also "Dem Schreiben"? Schreiben als Selbstzweck; Schreiben um des Schreibens willen? Es lohnt sich dies genauer zu betrachten.

 

Ich schreibe diesen Text auf Papier mit einem Stift. Dieses Stiftmodell begleitet mich schon eine ganze Weile. Ich sehe es fast jeden Tag. Es fühlt sich gut in meiner Hand an. Wenn ich damit schreibe, ist es eher eine Verlängerung meines Armes. Das Papier, auf dem ich schreibe, ist sehr ordinär, gewöhnliches, liniertes DIN A4 Papier, ein Collegeblock. Und doch beobachte ich zufrieden, wie sich dieses ordinäre Papier mit meiner Handschrift füllt. Es bekommt Leben. Eine Seele. Meine Schrift ist nicht besonders schön, eher unleserlich und unordentlich. Aber es ist meine Schrift. Sie ist einzigartig. Kein anderer Mensch auf dieser Welt wird jemals so schreiben, wie ich schreibe. Das gilt für Form und Inhalt. Denn, genauso wie jede Handschrift einzigartig ist, ist auch jeder Schreibstil einzigartig. Einzigartigkeit ist in diesem Kontext keine Wertung im Sinne von positiv, sondern eine Aussage über Individualität. Ein individueller Ausdruck eines Individuums.

 

Was also ist der Wert des Schreibens, "Dem Schreiben"? Der Wert von "Dem Schreiben", behauptet der Autor dieses Textes, liegt darin, sich auszudrücken. Ausdruck ist das Ziel jedes echten Individuums. Vielleicht wäre es angebracht, an dieser Stelle den Gedanken des Schreibens, als funktionsloses Ideal zu relativieren. Wir folgen zwar einem Ideal, aber auch einer Funktion. Funktion ist Teil von "Dem Schreiben". "Das Schreiben" ist jedoch nur Funktion. Auf einer sehr fundamentalen Weise hat alles eine Funktion. Schreiben ist demnach Funktion und Ideal zugleich. Wir schreiben, um uns auszudrücken, das ist die Funktion von "Dem Schreiben". Dieses sich Ausdrücken ist aber gleichzeitig aber auch ein Ideal. Ohne dieses Ideal, wäre Schreiben reine Funktion, wie "Das Schreiben". Jedoch wäre ohne die Funktion bei "Dem Schreiben", das Ideal nur etwas Abstraktes, ohne Form.

 

Wir schreiben zudem bewusst; Es gefällt uns Wörter und Sätze zu erzeugen. Schreiben ist in diesem Sinne also auch Selbstzweck.

 

Schreiben ist also eine Trinität aus Ideal, Funktion und Selbstzweck.

 

(gepostet: 15. Juni 2022)