Über das Schreiben einer Satire

Foto: Doris Gapper
Foto: Doris Gapper

Ein Gastbeitrag von Doris Gapp

 

Doris Gapp, wohnhaft in Österreich im Tiroler Unterland, liest und schreibt seit frühester Kindheit, besitzt keine Katze und bemüht sich um moderaten Kaffeekonsum. 1998 Veröffentlichung des Jugendromans "Bilder einer Ausstellung" bei der Edition Tirol. Seit 2016 Inhaberin der Tiroler Textschmiede, schreibt und bloggt als freiberufliche Texterin auf Kundenwunsch. Aktuell wieder eigene Werke besonders im Fokus. Den folgenden Text schrieb sie im Alter von 14 Jahren. 

 

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Endlich ist das Wochenende angebrochen. Jetzt habe ich Zeit, eine neue, köstliche, herrlich komische und einfach ganz und gar großartige Satire zu schreiben. Ich verbanne lineare Funktionen, ägyptische Könige und Säurereste in die hintersten Gehirnwindungen und konzentriere mich auf den Nachbarn, den ich diesmal mit Worten auseinandernehmen will, dessen Schwächen ich aufdecken werde und seine Schrullen, die er geheim zu halten versucht, gnadenlos unter die Leute bringen werde. Ich zücke meinen Collegeblock, bewaffne mich mit einem Stift und beginne mit dem aussagekräftigen Possesivpronomen "mein". An dieser Stelle werde ich von der Haustürklingel unterbrochen.

 

Mißmutig öffne ich und stehe einem korrekt gekleideten Mann mittleren Alters gegenüber, dem ich an der Nasenspitze ansehe, dass er auf gut Oberländerisch ein "Schnalladrucker" ist (herablassender Ausdruck für Vertreter jeglicher Art). "Hallo! Sie können doch sicher fünf Minuten erübrigen, um sich von den Vorteilen unseres neuen...." "Sehe ich so aus?", unterbreche ich ihn und will die Tür zuknallen. Er ist jedoch schneller und stellt den Fuß dazwischen. "Nehmen Sie bitte Ihren Quadratlatschen raus", fauche ich (aufgrund häufiger Vertreterbesuche hat sich gewisse Skrupellosigkeit breit gemacht). Das aufgesetzte Brillantine-Lächeln des Mannes verschwindet und weicht einem missgestimmten Ausdruck, aber gleichzeitig nimmt er den Fuß aus der Tür. Zufrieden schmettere ich sie ins Schloß.

 

Nichts wie zurück an meine bestsellerverdächtige Satire! Genüßlich male ich mir aus, wie sich meine Leser in Lachkrämpfen winden. Ich lese, was ich bisher geschrieben habe. Viel ist es ja nicht, das Wörtchen "mein". Wird sich aber bald ändern! Ich kralle mir den Stift und füge das Wort "Nachbar" an, doch plötzlich – ein Blackout. Ich zermartere mir das Hirn, was den bloß mit dem Nachbarn sein soll, doch es ist ebenso aussichtslos, als würde ich versuchen, die richtige Reaktionsgleichung der Neutralisation von Schwefelsäure mit Natronlauge anzugeben. Wenigstens kommt mir die Unterbrechung insofern gelegen, als daß ich auf den Sonnenschein draußen aufmerksam werde. Also beschließe ich, den Entstehungsort meiner bestsellerverdächtigen Satire auf den Balkon zu verlegen und mir eine neue einfallen zu lassen, das sollte doch für eine Satirikerin kein Problem darstellen. Ich lasse mich entspannt auf die Bank fallen, doch leider fällt auch mein Stift, und zwar übers Geländer. Ich brauche ihn, es ist mein Glücksstift. Ich schicke ihm einen deftigen Fluch hinterher und düse aus dem Haus, um ihn zu holen. Mit "Rums" schnappt die Haustür ins Schloß und natürlich habe ich keinen Schlüssel bei mir. Man merkt, daß ich an sturmfreie Bude nicht gewöhnt bin.

 

Es ist März und ich stehe in Pantoffeln, Jeans und einem T-Shirt im Garten. Und was wollte ich eigentlich? Ach ja, der blöde Stift. Ich klaube ihn vom Rasen, klemme ihn zwischen die Zähne und hangle mich am Balkongeländer hoch. Klar, daß der Nachbar von gegenüber das dringend kommentieren muss, ich glaube was mit "putzigem Kapuzineräffchen" gehört zu haben. Na warte, der soll in meiner Satire sein Fett weg kriegen, daß er sich nicht mehr auf die Straße traut. Stirnrunzelnd lese ich, was von der Satire bisher geschrieben wurde, nämlich die Worte "mein Nachbar". An dieser Stelle schrillt das Telefon.

 

"Gruber!" melde ich mich knapp. "Entschuldigung, ich wollte zu Gruber!" schallt Großtante Erika aus dem Hörer. Nein, nicht schwerhörig. Stocktaub. "Die Doris ist dran", brülle ich. "Wie nett. Was machst du?" "Ich schreibe eine Satire", verkünde ich stolz. "Seit wann spielst du Klavier?" tönt es aus der Muschel. "Eine Satire ist eine komische Geschichte!" schreie ich. "Was ist mit Omas Gesicht?" fragt sie prompt. Ich kapituliere. "ICH SCHREIBE!" kreische ich mit aller Macht. "Du brauchst nicht zu schreien, ich bin ja nicht taub. Sag deiner Mutter, daß ich morgen vorbeikomme", mault Erika und legt auf, bevor ich erwähnen kann, daß morgen keiner da sein wird. Egal, an die Arbeit.

 

"Sierra, sierra madre" tönt es da in voller Lautstärke aus der Einfahrt des Nachbarn gegenüber. Das Lied spielt er immer, wenn er seinen Toyota wäscht, aber das darf ich in meiner Satire nicht erwähnen, sonst erkennt er sich ja, wenn meine Geschichte veröffentlicht wird. Also muß ich etwas erfinden. Ich äuge über das Balkongeländer und male mir voller Schadenfreude aus, wie es wäre, wenn er rücklings über den Putzeimer stolpern würde. Ja, das gibt Stoff für eine Satire. Mein Stift fliegt über das Papier, bis ich von einem Platschen, gefolgt von "verfluchter Mist" aus den Gedanken gerissen werde. Ich schiele wieder übers Geländer. Das darf doch nicht wahr sein, hat sich dieser Spielverderber doch tatsächlich in den Eimer gesetzt. Eine Satire ist doch kein Tatsachenbericht, also kann ich darüber nicht mehr schreiben. Ich beschließe, über Großtante Erika zu schreiben, möglichst verfremdet natürlich. Nichts und niemand stört mich, es ist herrlich warm und ruhig am Balkon. Meine Gedanken überstürzen sich, ich komme beinahe mit dem Schreiben nicht nach. Nach einiger Zeit steigt mir ein äußerst unangenehmer Geruch in die Nase. Es mieft penetrant nach verkohltem Plastik und verschmorten Suppenknochen.

 

Suchend schaue ich mich um. Na klar, mein Nachbar zur Rechten, Übername "Old Shatterhand", verheizt wieder mal von vollen Kinderwindeln bis Küchenabfälle alles Mögliche und Unmögliche. Das hält hier kein Mensch mehr aus, ich verziehe mich in mein Zimmer. Fast bedaure ich den armen Mann, der noch nichts von meiner Wunderwaffe weiß: Meine Satiren. Aber der wird sich noch wundern! Ich beschließe, meine Satire ihm zu widmen und vernichte den Beginn von Großtante Erikas Geschichte. Kurz bevor aus "Old Shatterhand" eine totale Witzfigur wird, schlägt unten der Dackel des Nachbarn zur Linken an.

 

Ich angle nach einem matschigen Apfel, den ich eigentlich zum Kompost bringen wollte, und werfe ihn, ohne hinzusehen, aus dem Fenster. Ich scheine mein Ziel verfehlt zu haben, da ich ein sattes "Klatsch" höre und der Dackel fröhlich weiterbellt. Ich beschließe, mal kurz nachzusehen. Der unansehnliche Apfelmatsch befindet sich knapp neben dem Toyota und sein Besitzer biegt gerade mit einem Eimer frischem Wasser um die Ecke. ""Pfui Teufel! Jetzt hat dieser Drecksköter auch noch in meine Einfahrt gekotzt!" ist seine Reaktion angesichts meines Wurfgeschosses. Er rast zum Dackelbesitzer und läutet dort beinahe die Klingel herunter.

 

Ich brauche mir das Wortgefecht der beiden gar nicht mehr länger anzuhören, Stoff für eine einmalige Satire habe ich nun. Ich setze mich und schreibe ohne Unterbrechung zwei Seiten voll. Dann lese ich mein Werk. OK, nicht schlecht. Aber irgendwie – fehlt der Witz. Die Satire besteht nur aus der Pointe! Ich gebe es auf. Die erste Idee war die beste gewesen. Bloß – wie ging sie? In diesem Moment knattert Nachbar Bertrams Mofa los. Ich übertreibe nicht, in dieser Siedlung ist man von denen umzingelt, mein Ernst.

 

Aber dieses Mal ist es Musik in meinen Ohren, denn es bringt mir die Erinnerung wieder. Ich wollte IHN durch den Kakao ziehen beim Versuch, Reparaturen vorzunehmen. Wieder schreibe ich drauflos, es werden fünf Seiten! Die köstliche, herrlich komische und ganz und gar großartige Satire ist geboren! Ich werde berühmt! Die Verlage werden sich um mich reißen! Ich überlege gerade, was ich zum ersten Fernsehinterview anziehen soll, da fällt mir ein, daß ich meine ganze Berühmtheit dann nur einem zu verdanken habe: Bertram. Kann ich meinen Gönner denn wirklich so schonungslos bloßstellen? Nein, unmöglich. Ich muß meinen Durchbruch anderweitig schaffen. Aber ich glaube, das mache ich morgen.

 

Vielen Dank, Doris, für diese schonungslose und völlig satirefreie (das heißt total realistische) Schilderung Deiner Arbeit an einer Satire. Mir gefiel er so, weil eine Satire ein Spiegel ist, der Du einen Spiegel vorhältst, das ergibt: unendliche Weiten.

 

(gepostet: 9.9.2020)