Wer Filme wie „Dänische Delikatessen“ oder „Adams Äpfel“ gesehen hat, weiß spätestens, was unsere Nachbarn im Norden alles drauf haben. Das dänische Filmschaffen kann internationale Hits landen und Schauspieler wie Mads Mikkelsen nach Hollywood befördern, weil hier gute Drehbücher und großartige Schauspieler am Werk sind, wie auch letztes Jahr schon wieder die Groteske „Smalltown Killers“ im Kino eindrucksvoll unter Beweis stellte. Mit „The Guilty“ haben wir nun den dänischen Oscar-Beitrag für die kommende Verleihung in den Kinos angekündigt, ein Thriller, wie es heißt, der wohl nicht ganz so von tiefschwarzem Humor gezeichnet ist wie viele andere. Aber sei’s drum. Dänische Filme haben mich in den letzten Jahren selten enttäuscht, also war ich sehr glücklich, als dieser hier gestern im Bochumer Sneak Preview auf der Leinwand erschien.
Der Polizist Asger Holm (Jakob Cedergren) ist bis auf weiteres vom Außendienst in die Notrufzentrale versetzt worden auf Grund einer Untersuchung gegen ihn bezüglich der Tötung eines Verbrechers während eines Einsatzes. Der impulsive Gefühls-Cop hasst diesen Ort, die Menschen, die dort arbeiten und seine Aufgabe. Doch dann erreicht ihn der Notruf einer jungen Frau namens Iben, die sich in der Gewalt eines Entführers befindet. Sie und ihre Kinder schweben demnach in großer Gefahr und Asger setzt von der Telefonzentrale aus alle Hebel in Bewegung, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
Ich hätte nicht gedacht, dass es so unterhaltsam ist, jemandem 90 Minuten beim Telefonieren zuzuschauen. Aber so ist es. „The Guilty“ ist ein kunstvoll entworfenes und inszeniertes Drama voller Spannung, das man auch auf einer Theaterbühne gezeigt werden könnte. Denn alles spielt sich nur in der Telefonzentrale ab. Aber das reicht. Hilflos, wehrlos und nur mit seinem Headset bewaffnet muss Asger Holm alles ihm Mögliche tun, um der in Not geratenen Frau zu helfen. Was er nicht ahnt: Dieser Fall wird, ohne dass er es merkt, zu seinem persönlichen Schicksal. Exzellent gespielt, Spannung, die von hektischen Blicken, nervösen Fingern, Klingeln und Vibrieren ausgelöst wird, das ist eine großartige Leistung aller Beteiligter. Das Empathielevel ist äußerst hoch, nicht selten glaubt man als Zuschauer, selbst dort am Telefon zu sitzen und dass auf Anrufe zu warten nervenaufreibend sein kann, dürfte wohl jeder nachvollziehen. Ich will gar nicht mehr verraten. Auf diesen Film muss man sich einlassen, denn er spielt mit der Ruhe im Auge des Sturms. Dass das nicht jedermanns Sache ist, bemerkte ich daran, dass einige den Kinosaal bereits nach einer halben Stunde verließen. Aber das Bleiben lohnt sich, denn die Story wartet mit einigen interessanten Überraschungen auf.
„The Guilty“ ist besonders etwas für Menschen, die das Programmkino schätzen und denen die großen Blockbuster zu viel Reizüberflutung sind: Ein Film, der die Sinne fesselt, ohne sie zu überladen. Beinharte Action- und Horrorfans könnten angesichts des Genre „Thriller“ enttäuscht sein, der Rest bekommt ein geschickt inszeniertes Werk zu sehen, dem ich enorme Aufmerksamkeit wünsche, vielleicht sogar in Form eines Oscars nächstes Jahr.
(Gepostet: 9.10.2018)