I am mother (Start: 22.8.2019)

Quelle: www. filmstarts.de
Quelle: www. filmstarts.de

Eine große Kunst, faszinierende Geschichten zu schreiben, besteht in der Reduktion. Für mich selbst stellt sich bei meinen Geschichten stets aufs Neue das Problem, dass die Umwelt einer Figur etliche Bedingungen erfüllen muss. Besonders muss sie von Personen bevölkert sein, die ich dann mühsam auf die wichtigsten reduziere, weil sonst kein Leser inklusive mir sie noch auseinanderhalten kann. Es bleiben trotzdem immer noch genug übrig. Wer es aber schafft, eine spannende Geschichte auf zwei Menschen zu konzentrieren, der hat meiner Meinung nach etwas Kunstvolles vollbracht und ich möchte an dieser Stelle nur kurz auf meine Autorenkollegin Anna Gasthauser verweisen, die dies in ihrem Roman „Kellerwesen“ sehr gut umgesetzt hat. Meine ganz persönliche Hochachtung dafür!

 

Im Fall des Films „I am mother“ geht das sogar noch reduzierter, nämlich zumindest zu Beginn mit einer Figur. Das Mädchen, das von einem Roboter groß gezogen wurde und im Teenageralter das erste Mal auf einen anderen Menschen in Form eines Eindringlings trifft: eine dystopische Science-Fiction-Geschichte, die man auf einer Theaterbühne inszenieren könnte. Das klingt für mich nach großer Kunstfertigkeit. So sah ich gespannt diesem Film entgegen, der im Multiplex erstaunlich wenig Spielzeiten hat. Aber das ist nicht immer das schlechteste Zeichen.

 

Die Menschheit ist ausgerottet. Am Tag danach „erwacht“ der Androide „Mother“ und macht sich daran, aus ca. 60000 menschlichen Embryonen Kinder herzustellen. Das Ergebnis ist die „Tochter“ (Clara Rugaard), die von „Mother“ nach allen für Roboter erlernbaren Regeln der Kunst aufgezogen wird und offenbar sorgenfrei heranwächst. Eines Tages klopft eine Frau (Hilary Swank) an die Außentür ihrer Behausung und konfrontiert die „Tochter“ mit Geschichten über böse Androiden, die genauso aussehen wie „Mother“. Das Mädchen steht so vor der größten Herausforderung ihres Lebens. Kann sie „Mutter“ trauen oder sollte sie der Fremden folgen und aus ihrem Zuhause fliehen?

 

Ich darf es wohl vorwegnehmen: An diesen Film wird sich so mancher Zuschauer noch lange erinnern. Denn tatsächlich haben es der Drehbuchautor Michael Lloyd Green und der Regisseur Grant Sputore geschafft, mit reduziertesten Mittel eine spannende und durchaus tiefgreifende Geschichte zu erzählen. Die Behausung wirkt zwar hoch technisiert im Stile eines Science-Fiction-Films, letztlich bleibt dies aber alles atmosphärische Kulisse und greift wenig in die Handlung ein. Äußerst effektvoll, dabei ohne viel Schnickschnack, ist das dystopische Element inszeniert. Aber das Beste ist: Das Zusammenspiel zwischen dem mit süßer, immer ruhiger Frauenstimme sprechenden Androiden, der gequälten und traumatisierten Fremden und der Tochter, die sich zwischen ihnen wiederfindet, ist fesselnd und lädt jederzeit zu neuen Spekulationen ein. Dabei sind nicht nur die filmischen Mittel und Räume sowie Figuren im Drehbuch reduziert, auch die Informationen über die Figuren sind äußerst dürftig. Man erfährt nicht einmal ihre Namen und auch sonst nicht viel. Sie sind reine Emotion, Dramatik, Gefühl auf teilweise basalster Ebene: Angst, Mut, Hoffnung, Liebe, Sehnsucht, Identität. Hier finden die eigenen Gedanken, Assoziationen und Empfindungen viel Platz. Genau dieser Effekt der radikalen Reduktion von fast allem machen den Film so besonders. Und wenn man ein wenig darüber nachdenkt, ergibt auch alles letztlich einen Sinn.

 

„I am mother“ ist keine Romanverfilmung, was nicht wundert, denn er funktioniert einfach viel zu gut über die Mittel des Films. Wenn manche Kritiker gar von einem neuen Science-Fiction-Klassiker schreiben, so viel ich dem nicht einmal widersprechen. Möchte man vielleicht irgendetwas finden, was diesen Film vom Prädikat „Meisterwerk“ trennt, so ist es eine fehlende Portion Brachialität, die einem das Gehirn so richtig durchspült. Ansonsten scheint er für meine Top 10 des Jahres bereits gesetzt und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieses „kleine Meisterstück“, so würde ich es nennen, im Dschungel durchschnittlicher bis schlechter dystopischer Science-Fiction-Filme auf der großen Leinwand anzusehen. Es lohnt sich!

(gepostet: 2.9.2019)