Schon mit dem ersten Herangehen an die Umsetzung einer Idee stellen sich bei fast jedem Autor die folgenden Fragen, die den ganzen Schreibprozess begleiten: Bin ich gut genug? Habe ich Talent? Werden die Leser meine Texte mit wachsendem Interesse lesen oder sagen sie hinterher so etwas wie: "Hör mal, ich würde sagen, Du suchst Dir lieber ein anderes Hobby"?
Selbstzweifel begleiten die gesamte Entstehungsphase eines Textes und ich bin mir völlig sicher, dass das so ist, egal ob man gerade erst anfängt oder bereits 50 Millionen Bücher verkauft hat. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem sich all der Zweifel auf eine Frage konzentriert: Schreibt ein Autor eigentlich nur für sich selbst oder für sein Publikum?
Entgegen des ersten Eindrucks schließen sich diese beiden Möglichkeiten nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, denn die Antwort ist: beides. Es gibt einerseits Künstler, von denen zu hören ist, dass sie ausschließlich für sich arbeiten, unabhängig vom Publikum das machen, was ihnen gefällt und ihnen die Reaktionen völlig einerlei sind. Das mag man glauben oder nicht, nützlich an dieser Aussage ist in jedem Fall die Einstellung, dass man in erster Linie selbst mit einem Text zufrieden sein muss. Es bringt nichts, sich zu überlegen, was diesem oder jenem Leser gefallen könnte, und das dann umzusetzen. Man muss schreiben, was einem selbst gefällt. Der Autor Andreas Eschbach schreibt völlig zu Recht in den Tipps auf seiner Homepage, dass man bei der Suche nach einem passenden Genre für sich in erster Linie sein eigenes Bücherregal konsultieren sollte. Kein Text wird wirklich gut, wenn er dem Autor selbst keinen Spaß macht. Er ist Urheber des Textes und erster Leser, nimmt also zwei Rollen in einer Person ein, weswegen man auch gerne von „Dritten“ spricht, wenn es um den ersten fremden Leser geht. Selbst wenn ein Autor eine Auftragsarbeit erhält oder sich unter kommerziellen Erwägungen dazu entschließt, etwas „Populäres“ zu schreiben, der Text selbst wird ihm niemals selbst zuwider sein.
Andererseits gibt es Stimmen, die empfehlen, beim Schreiben stets sein Publikum im Blick zu halten. Das klingt in vielen Ohren erst einmal so, als müsse man sich danach richten, was vom Publikum verlangt wird, aber das haben wir ja oben schon geklärt. Wichtig an dieser Aussage ist dennoch, dass man sich stets Gedanken über die Wirkung des Geschriebenen auf Andere machen sollte. Gerade bei der Inszenierung spielt dies eine wichtige Rolle, besonders in Zusammenhang mit dem von mir so geliebten „Show-not-tell“-Prinzip. Nehmen wir die Aufgabe, eine Szene zu schreiben, die einer Idee entspringt wie: Der Protagonist geht nachts über einen unheimlichen Friedhof und hat Angst. Am Anfang stehen also die Sätze: „Er ging nachts über den unheimlichen Friedhof. Er hatte Angst“. Nun haben wir als Autor uns selbst genüge getan und könnten eigentlich weitermachen. Aber der Leser wird enttäuscht sein, denn er hat nicht mehr als die bloße Information. Er spürt nichts. Also fragen wir uns: Was macht eigentlich diesen Ort so unheimlich? Was könnte dem Protagonisten Angst machen? Prompt befinden wir uns in der Gedankenwelt des Lesers. Als erster Leser spazieren wir selbst über jenen Friedhof und versuchen uns vorzustellen, was uns Angst macht. Sind es die Grabsteine? Dann beschreiben wir sie. Sind es Geräusche, Rascheln und Rufe von Tieren zum Beispiel? Dann beschreiben wir sie. Sind es Schatten im Mondlicht? Dann beschreiben wir sie. Ist es ein furchtbares Erlebnis aus der Vergangenheit des Protagonisten? Dann beschreiben wir das. Ist die Angst rational, zum Beispiel vor einem Überfall oder ist sie irrational, zum Beispiel vor einem Gespenst? Es lohnt sich also schon für eine gute Geschichte, sich Gedanken über den Leser zu machen. Gerade was die letzte Frage betrifft, kann die Angst vor einem Gespenst Begeisterung bei der einen, aber völliges Unverständnis bei der anderen Lesergruppe auslösen.
Somit ist es sehr sinnvoll, die manchmal zu kategorisch gestellte Frage, ob ein Autor für sich oder für sein Publikum schreibt, mit „beides“ zu beantworten. In der permanent wechselnden Rolle als Autor und Leser wird der Urheber eines Textes von beiden Perspektiven profitieren und für ihn die Figuren, die Situationen und die Orte der Handlung lebendig werden. Den Selbstzweifel aber wird man trotzdem nicht los und um mit ihm zu leben, erscheinen mir zwei Hinweise sehr hilfreich.
Jemandem seinen eigenen Text zum Lesen zu geben, ist stets eine Überwindung. Aber wenn das Schreiben nicht auf ewig eine Sache nur für einen selbst sein soll, ist man dazu irgendwann gezwungen. Also sollte man so lange an einem Text arbeiten, bis man wirklich neugierig auf die Meinung, vielleicht auch nur einer ganz bestimmten Person ist. Freunde und Verwandte werden ohnehin zunächst einmal loben, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Irgendwann nimmt man sich dann jemanden zur Hand, dem man zutraut, den Text konstruktiv zu kritisieren. Er wird bestimmte Aspekte gut finden und daraus entwickelt sich beim Autor selbst eine bestimmte Idee von seinen Stärken, die letztlich in so etwas wie Stil münden. Wenn man also zweifelnd alleine am Schreibtisch sitzt, sollte man sich auf diese positiven Feedbacks besinnen und sich sagen, dass man schon einmal etwas gut gemacht hat und dazu insofern auch wieder in der Lage sein wird. Allerdings wäre es auch nicht gut, sich nur noch darauf zu beschränken, was man glaubt, gut zu können. Raum für Weiterentwicklung gibt es immer.
Gerade nach der Veröffentlichung eines Buches kann es sie geben: die wirklich niederschmetternden Kritiken. In den schlimmsten Alpträumen jedes Autors manifestieren sie sich in Ausdrücken wie „schlechter“ oder „gar kein Stil“, „totlangweilig“, „unglaubwürdige Figuren“ oder „Handlung“, „kitschig“, „vorhersehbar“ und was da nicht noch alles kommen kann. Obwohl sie immer wehtun, braucht man sich solche Urteile nicht zu Herzen nehmen. Denn entweder war der Leser einfach nicht der richtige oder er findet Gefallen daran, Autoren niederzumachen, vielleicht aus Neid, Missgunst oder weil seine Katze mal wieder nicht auf seinen Schoß springen wollte. Dazu kann ich nur sagen: Leute, lebt damit und lasst Euch davon nicht den Spaß verderben. Oder wollt Ihr erst dann schreiben, wenn die Welt von allen Nörglern, Besserwissern und Klugscheißern befreit ist? Nein, solange Euer eigenes Leben durch das Schreiben bereichert wird, besitzt Ihr auch genug „Talent“ dafür, denn für mich ist Talent nichts anderes, eben eine Leidenschaft, bei der es noch mehr weh tut, wenn man sie sein lässt.
Konstruktive Kritik allerdings sollte man nicht an sich abprallen lassen, genauso wenig, wie man sie über Gebühr berücksichtigen sollte. Bei einigen Rezensionen zu meinem Roman „At Dawn They Sleep“ wurde artikuliert, dass die Anzahl der handelnden Figuren teilweise verwirre. Diese Kritik habe ich mir zu Herzen genommen und wenn ich nun neue Geschichten konzipiere, versuche ich die Handlung mit möglichst wenigen Figuren zu realisieren. Ich richte mich nicht einfach nach der Kritik, sondern ich prüfe, ob es vielleicht möglich ist. Genau das ist aus meiner Sicht der rechte Umgang mit konstruktiver Kritik. Es verbietet mir ja niemand, viele Figuren zu verwenden, aber ich weiß um den Umstand, dass das eventuell verwirren könnte.
So befinde ich mich, wenn es an die Umsetzung einer Idee geht, sozusagen in der Mitte eines Quadrats, dessen Ecken aus den vier Faktoren besteht: Meine Rolle als Autor (Selbstzweifel), meine Rolle als Leser (Publikumserwartung), meine Erfahrungen mit positiver Kritik und die Berücksichtigung konstruktiver negativer Kritik. Alle vier Faktoren bedeuten Energie- und Inspirationsquellen, um letztlich eine Erzählung „rund“ zu machen. Wenn wir uns einen Kreis als den neuen Text in einem Quadrat vorstellen, das aus jenen vier Einflüssen entsteht, so sehen wir, dass der Kreis die Ecken selbst nicht berührt, sondern nur indirekt an bestimmten Stellen der Verbindungslinien. Man sollte sich also von dem Zweifel am eigenen Talent, von der Frage, was die Leser wollen, sowie von positiver und negativer Kritik nicht direkt „berühren“ lassen, sondern sie indirekt nutzen, um sich weiterzuentwickeln. Auf diese Weise, mit dieser Einstellung, kann er beginnen, der Prozess der Umsetzung einer Idee oder wie ich es nenne: Der Spaziergang durch den Nebel.