Über das Schreiben von Tabus

Ein Gastbeitrag von Mia Lada-Klein

 

Mia ist freie Journalistin und Dozentin für Kreatives Schreiben. Zusammen mit ihrem Kollegen Matthias Breimann das Projekt "Montagslyriker". Sie ist Stimme und Gesicht der Antistigma-Initiative Feel me und schreibt außerdem an ihrem Romandebüt, das 2021 erscheint.

 

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Ich war sieben Jahre alt, als ich mit dem Schreiben von einem Tagebuch anfing und recht schnell kamen kleine Gedichte dazu. Vielleicht waren es auch keine Gedichte, sondern eher Schnipsel, aber mir machte das Spaß. Hier konnte ich Dinge beim Namen nennen, die ich sonst nicht sagen durfte und auch nicht gesagt hätte. Es klingt fast romantisch, aber ich konnte mich wirklich stundenlang abschotten und war dann auch oft für mich. Das hatte den Nachteil, dass ich meine Gedanken und Gefühle tatsächlich schriftlich einkleiden konnte, aber ich konnte sie nicht direkt verbalisieren. Meine Eltern haben mir auch nicht beigebracht, wie das geht und es blieb lange Zeit alles schriftlich. 

 

Das beides auch parallel funktioniert, dass man Gefühle sowohl direkt verbal sowie auch schriftlich äußern kann, lernte ich erst viel später. 

 

Das Schreiben reichte nämlich irgendwann nicht mehr aus, um wirklich alles, was ich dachte, was ich fühlte zum Ausdruck zu bringen. Mein Ventil wurde allerdings die Bulimie und nicht das Sprechen. Was mir also anfänglich das Leben rettete, brach mir letztlich den Hals. Die Romantik war also dahin und in meiner schwersten Zeit, schrieb ich gar nicht mehr. Ich fühlte zu dieser Zeit auch nichts mehr, also gab es auch nicht viel zum Aufschreiben. Manchmal höre ich, dass es Menschen verwundert, da sie meinen, dass man doch genau in dieser dunklen Zeit wohl besonders gut zu schreiben vermag! Es mag sein, dass es bei manchen Schreibern so ist, aber nicht bei mir. 

Ich fing irgendwann wieder an zu schreiben, aber es passierte wieder das, was ich sonst auch kannte, denn ich kommunizierte wieder nur mit dem Papier. An sich war das okay, aber das Papier ersetzt keinen Dialog mit einem Psychologen, Psychotherapeuten oder einem Psychiater. 

 

Als ich dann zum wiederholten Male in einer Klinik landete, traf es mich hart, denn man nahm mir jegliches Schreibzeug weg. Klingt erstmal brutal und radikal und so empfand ich es auch, aber heute sehe ich den Sinn und weiß nun, dass es richtig war. Ich wurde gezwungen zum Sprechen, zum Schreien, zum verbalen Äußern meiner Gefühle. Ich war auch tatsächlich auf der geschlossenen Station mit Kontaktsperre zur Familie, also konnte mir auch niemand etwas rein schmuggeln. Ich meine Stift und Papier:-) Es gab jedoch ein paar nette Mitpatienten, die mir etwas von ihrem Briefpapier abgaben und den Stift habe ich damals einer Schwester geklaut, als ich um ein Privatgespräch bat und zwar im Schwesternzimmer. Hier lagen viele Stifte rum und während sie noch die Tür schloss, hatte ich den Stift schon im Ärmel versteckt. 

 

Lustige Geschichte, die allerdings aufflog. Bei einer Zimmerkontrolle fand man alles in meiner Matratze versteckt. Die Chefärztin der Station, eine wunderbare Psychiaterin, machte daraufhin einen Deal mit mir. Ich dürfte alles behalten, wenn ich ihr die Sachen regelmäßig aushändigen würde und mich dann ihren Fragen stellen würde. Ich war nicht begeistert, aber was für eine Wahl hatte ich sonst?

 

Die Rechnung ging auf und die Therapie zeigte ihre Wirkung. Nach und nach kam ich zum Sprechen und nach und nach ging die Bulimie.

 

Heute geht glücklicherweise beides. Ich sehe das Schreiben heute als Komuikationsmöglichkeit mit mir, aber eben auch mit der Welt um mich herum. Heute schreibe ich bewusst und mein Schreiben ist auch breiter gefächert. Ich kann beim Schreiben in Erinnerungen schwelgen und ich kann mich von Dingen und Menschen distanzieren. Ich kann mir Masken anziehen und auch meine Gedanken und Gefühle einkleiden, aber ich verstecke mein wahres Ich nicht mehr hinter dem geschriebenen Wort. Heute spreche ich zuerst und schreibe dann. Eben um mich zu erinnern oder um Ungesagtes zu sagen, weil man eben doch nicht alles aus sich herausposaunen sollte. Es ist aber kein Werkzeug mehr zum Kompensieren, sondern um zu dokumentieren, manchmal eben auch um zu fantasieren, wenn es um meine Kurzgeschichten geht oder um zu experimentieren, wenn es um meine Lyrik geht. 

 

Ich schreibe allerdings hauptsächlich biografisch. Schreibe meine Geschichte, meine Erlebnisse, mein Sein auf. Das ist das, was ich schon immer gut konnte, also warum es ändern und das Genre wechseln? Zudem ist es eine wunderbare Übung, wenn es um Entscheidungen geht. Beim Schreiben trifft man eine Menge Entscheidungen und das jedes Mal aufs Neue.

 

Aus welcher Perspektive möchte ich erzählen?

Wie viel und was möchte ich erzählen?

Mit welcher Wucht und Kraft möchte ich schreiben?

Welche Worte wähle ich?

Wie reihe ich die Sätze aneinander?

Will ich mich distanzieren oder doch mittendrin sein?

 

Da ich eben biografisch schreibe, bin ich aber immer ich und verstecke mich nicht. Zumindest eben nicht mehr. Früher habe ich mich versteckt. Vielleicht auch vor mir selbst, aber heute nicht mehr. Nach meinen Therapien habe ich mich eben selbst wirklich auch gefunden und passe jetzt einfach nur auf, dass ich mich nicht nochmal verliere. Weder in Worten noch in mir selbst. 

 

2019 habe ich dann meine Antistigma Initiative ins Leben gerufen. Mission: Antistigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ich kenne die Stigmatisierung und eben auch die Vorurteile. Viele davon sind auf mangelndes Wissen über psychische Erkrankungen zurückzuführen und das liegt eben auch daran, dass wir es nach wie vor als eine Art gesellschaftliches Tabuthema betrachten. Wir sprechen noch nicht offen drüber und somit fehlt es an Aufklärung. 

 

Ich habe angefangen darüber zu sprechen und darüber geschrieben habe ich schon immer. Genau das ist das Ergebnis meiner Reise, die hoffentlich noch lange andauern wird. 

Schreiben war und ist für mich allerdings niemals wirklich Therapie gewesen. Es war vielmehr eine Kommunikation mit dem Papier, da ich es einfach nicht direkt formulieren konnte, im Bezug auf andere Menschen. Aus dem Freund wurde eben irgendwann auch ein Feind und heute sehe ich das weiße Blatt Papier als neutralen Kommunikationspartner an und als Assistenten. Um eben andere Menschen zu erreichen und um ihnen eben auch eine Stimme zu geben, wenn sie es denn selbst nicht können. 

 

Vielen Dank Mia für Deine offenen und interessanten Schilderungen. Allein weil ich mit meinem eigenen Roman Heaven 11 etwas zur Antistigmatisierung beitragen möchte, finde ich Deinen Text großartig. Ich drücke die Daumen, dass Deine Initiativen möglichst viel Verbreitung bekommen und werde Dich auch in Zukunft dabei unterstützen. (gepostet: 27.9.20)