Heilstätten (Filmstart: 22.2.2018)

Quelle: www.moviepilot.de
Quelle: www.moviepilot.de

Der deutsche Horrorfilm – existiert er überhaupt? Ich frage mich schon länger, wieso dieses Genre nicht stärker kultiviert wird, anstatt dass wir auf der Leinwand die ewig gleichen Schauspieler in den ewig gleichen (immer weniger unterhaltsamen) Rollen zu sehen bekommen. Womöglich erscheint es hierzulande immer noch zu unseriös, die Geister einmal richtig tanzen zu lassen, so dass dem Publikum das Blut gefriert und nicht unbedingt ein gesellschaftliches Anliegen propagiert wird, das uns alle auf dem Weg in die Perfektion unserer eigenen und der gesellschaftlichen Erziehung ein Stück weiterbringt. Da finde ich es natürlich besonders spannend, wenn mit „Heilstätten“ nun ein deutscher Film anläuft, der keinen Zweifel daran lässt, dass er den Zuschauer ordentlich einheizen will. Der Trailer versprach in dieser Hinsicht einiges.

 

Vielleicht musste man ja auch erst, wie Regisseur und Drehbuchautor Michael David Pate, den offiziellen Auftrag von 20th Century Fox erhalten, einen der bekanntesten Gruselorte in Deutschland, die Beelitz-Heilstätten nahe Berlin, mit einem Film zu beehren. Schließlich wandelte schon Tom Cruise für „Operation Walküre“ auf den waldigen Pfaden, der letztes Jahr erschienene Horror-Grotesk-Thriller „A Cure for Wellness“ wurde ebenfalls hier gedreht und für Fotografen ist der Gebäude-Komplex ohnehin ein reizvoller Ort. Umso merkwürdiger, dass ausgerechnet für diesen Film die Drehgenehmigung nicht erteilt wurde, so dass die Produzenten auf die Heilstätte Grabowsee (auch nahe Berlin) ausweichen mussten, nicht ganz so berühmt, aber nicht weniger unheimlich.

 

Tatsächlich geschahen auch in jüngerer Zeit auf dem Gelände der Beelitzer-Heilstätten einige erschreckende Dinge, Mord, Kindsmord, Suizid. So bedarf es wohl keiner großen Vorstellungskraft, dass diese Kulisse für einige deutsche Youtube-Stars wie geschaffen ist, um millionenclickträchtige Videos zu drehen. Und sie verstehen ihr Handwerk. Die beiden „Prankbros“ Charly (Emilio Sakraya) und Finn (Timmi Trinks) wollen nicht nur eine Nacht in der berüchtigten Lungenklinik verbringen, sie fordern auch ihre Intimfeindin, die Beauty-Bloggerin Betty (Nilam Farooq), zu einer Challenge auf: Wer zuerst aus Angst eine Fackel anzündet, wird medientauglich bestraft. Diese Möglichkeit bekommen sie, weil der ehemalige Youtube-Kollege und beste Freund von Finn, der Fremdenführer Theo (Tim Oliver Schultz), ihnen anbietet, sie außerhalb der Touristensaison auf das Gelände zu lassen. Außerdem ist da noch Theos Ex-Freundin Marnie (Sonja Gerhardt), die auch einen kleinen Youtube-Kanal hat, auf dem sie Menschen dazu bringt, ihre Ängste zu überwinden. Sie wittert die Chance, selbst berühmt zu werden, wenn sie sich den erfolgreichen Kollegen anschließt und schleicht sich zusammen mit ihrer Freundin Emma (Lisa-Marie Koroll) auf das Gelände. Kameras werden in dem Gebäude installiert, es dämmert, die Challenge kann beginnen.

 

Zuerst scheint es ein großer Spaß zu werden. Die Prankbros ziehen ihre Show ab und haben in Gestalt ihres Youtube-Bruders Chris (Davis Schulz) auch noch einen Trumpf in der Hinterhand. Der verkleidet sich nämlich als Geist und jagt Betty erst einmal einen ordentlichen Schrecken ein. Nach vollzogenem „Prank“ verirrt sich Chris auf dem Gelände und dringt in dem Glauben, selbst zum Narren gehalten zu werden, erneut in das Gebäude ein. Derweil sieht der Rest der Truppe einige komische Erscheinungen und finden schließlich die Leiche von Chris, der aus irgendeinem Grund von einer hohen Balustrade gestürzt ist. Als Betty auf einem Streifzug durch das Haus auch noch eine blutüberströmte Frau in einer Badewanne sieht, und die Gruppe außerdem jeder Fluchtmöglichkeit von dem Gelände beraubt wird, wird jedem so langsam klar, dass aus dem Spiel ein Kampf um das nackte Überleben geworden ist.

 

Was das Genre des „Found Footage“-Horrorfilms betrifft, so erleben die Zuschauer zunächst einmal eher Geläufiges. Handkameras á la „Blairwitch Projekt“ und „Rec“, stehende Kameras á la „Paranormal Activity“. Zumindest in der Vorstellung, die ich gesehen habe, kam es wohl aus diesem Grund auch durchaus vor, dass Besucher vorzeitig den Saal wieder verließen. Oder hatten sie doch zu viel Angst? Möglicherweise, denn trotz des routinierten Konzeptes weiß die Inszenierung durchaus das Fürchten zu lehren und den Zuschauer selbst in die unheimliche Kulisse der „Heilstätten“ zu versetzen. Lange Zeit hatte allerdings auch ich das Gefühl, hier eher eine Hommage an Genre prägende Filme präsentiert zu bekommen, die an sich nicht viel Neues bietet.

 

Doch der Film kann mehr. Es lohnt sich, nicht vor der Endszene das Kino zu verlassen. Mit einem fulminanten Twist (eigentlich sogar zwei) emanzipiert sich die Geschichte plötzlich nicht nur von ihren, teilweise ausgereizten Vorgängern, sondern bietet eine Vorstellung davon, was ein Ensemble aus jungen Filmschaffenden hierzulande den Etablierten wie James Wan oder Elli Roth noch beibringen könnte. Ich glaube, gerade die beiden hätten großen Spaß an diesem Film, wenn sie ihn zu Gesicht bekommen. Denn nicht nur die Schockeffekte und der Überraschungsmoment, sondern auch die Art, wie der Staub der Geschichte sich letztlich irgendwo zwischen horrorhafter Vorstellung und faktischen Zuständen der Jetztzeit legt, ist bemerkenswert. Vielleicht (noch) kein Meilenstein, aber die Spur einer kreativen Ader, die vielleicht in Zukunft noch mehr zu bieten hat.

 

Ich kann jeden verstehen, der sich denkt, dass er sich nicht unbedingt den zehnten Abklatsch von Found-Footage-Filmen ansehen will und deshalb „Heilstätten“ gar nicht erst in Erwägung zieht. Doch man kann es auch umgekehrt betrachten: Bevor man sich den zwanzigsten Teil von „Paranormal Activity“ ansieht, sollte man diesem Film eine Chance geben, denn er hält im Ganzen durchaus einige Kniffe bereit, die in den etablierten Franchises schon länger fehlen. 

(gepostet: 24.2.2018)