Die Truman Show (1998)

Quelle: www.cinematikimaui.com
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„There’s a crack in the mirror,

there’s a hole in the somewhere“

(Abacab, Genesis)

 

Für mich hat sich geradezu zu einer schriftstellerischen Grundregel entwickelt, was Genesis mit diesen Zeilen auf den Punkt bringen. Zu Beginn einer Geschichte muss dem Protagonisten etwas passieren, das ein Loch in seine Wirklichkeit reißt. Es muss sich ihm ein Pfad eröffnen, der ihn aus seinem bisherigen Leben herausführt auf unsichere neue Wege. Es muss ihm etwas auffallen oder gewahr werden, das seine Perspektive grundlegend verändert. Nach und nach fällt die Kulisse seines alten Lebens immer mehr in sich zusammen, bis er sich letztlich in einer völlig neuen Welt zurecht finden muss und merkt, dass auch er ein ganz anderer Mensch ist, als er gedacht hat. Die Wirklichkeit als fragmentiertes, zerbrechliches Gebilde. Dann wächst der Held über sich hinaus, konfrontiert die starre Welt mit seinem Ich und bringt sie ins Wanken. So geschieht das Außergewöhnliche, das eine faszinierende Geschichte für mich ausmacht. Nun sind die Zeilen dieses Liedes allein vielleicht nicht unbedingt geeignet, diese Grundregel treffend zu illustrieren. Aber es gibt einen Film, der sie für mich zur Perfektion getrieben hat, thematisch, stilistisch, dramaturgisch. Meine anhaltende Faszination für „The Truman Show“ macht genau dieser Umstand aus.

 

Wir wissen alle, dass Truman Burbank glaubt, er sei ein ganz normaler Versicherungsvertreter, verheiratet, fest angestellt auf der kleinen Insel Seahaven, die er auf Grund einer Wasserphobie nicht verlassen kann. Er ist stets gut gelaunt, freundlich und nimmt sein Leben und sein Schicksal hin, wie es ist. Lediglich einen geheimen Wunsch hat er: irgendwann einmal auf die Fidschi-Inseln zu reisen. Natürlich weiß jeder, dass es sich bei seiner Heimat um ein riesiges Filmstudio handelt, dass sein Leben eine einzige Fernsehsendung ist, geskriptet bis ins letzte Detail, alles um ihn herum Kulisse, alle Menschen um ihn Darsteller oder Statisten. Das weiß jeder, außer Truman selbst. Bis eines morgens genau das passiert, was den Riss in seiner Wirklichkeit bedeutet. Ein Scheinwerfer stürzt vom Himmel.

 

Was für ein genialer Tritt in den Hintern des Faktischen! Jeder Mensch hat doch schon einmal das Gefühl gehabt, sein Leben sei wie ein (schlechter oder guter) Film und irgendwie erwartet man doch, dass der Regisseur aufsteht, sagt „Cut, die Szene ist im Kasten“ und man sich wieder dem normalen Alltag widmen kann. Trumans Scheinwerfer ist das Zeichen dafür, dass alles künstlich ist. Er versucht noch dieses Erlebnis zu ignorieren. Doch da ist der Bettler, der wie sein Vater aussieht, seine Frau, die, anstatt sich seine Sorgen anzuhören, ihm lieber neue Produkte vorstellt. Selbst sein bester Freund Marlon versucht ihn nur zu beruhigen. Der Riss ist da, und er wird größer.

 

Doch zunächst geht es weiter mit Trumans Alltag. In der ersten Hälfte des Films werden lediglich die Figuren der Truman Show gezeigt, wie sie sich um Normalität bemühen. Dabei wird immer deutlicher, dass Trumans privates Umfeld nichts anderes ist als ein auf viele Personen verteiltes, ausgeklügeltes System, ihn emotional anzuketten. Auch er selbst spürt das immer deutlicher, fühlt sich zudem beobachtet und es folgt die zweite geniale Szene des Films. Truman ahnt bereits, dass etwas in seiner Welt nicht stimmt, da werden durch einen Funkfrequenz-Fehler plötzlich die Regieanweisungen auf sein Autoradio übertragen. Man versucht den Fehler durch den Moderator noch zu korrigieren, doch Truman schöpft Verdacht. Er beobachtet die Menschen und wird plötzlich beinahe vom Linienbus überfahren. Doch niemand reagiert, alle spielen weiter ihre Rolle. Er stellt sich mitten auf die Straße, alle Autos bleiben stehen. Alle Statisten starren ihn an. Ein wunderbares Bild.

 

Danach weiß Truman eigentlich schon Bescheid, nur denkt er, dass es eine Verschwörung gibt, die mit seinem verstorbenen Vater zu tun hat, was die Produzenten dazu bewegt, ihn wieder auferstehen zu lassen. Diese Szene wird als große rührende Zusammenkunft inszeniert und bildet gewissermaßen die Zäsur des Films, denn von nun an wird der Zuschauer richtig hinter die Kulissen dieses riesenhaften Theaters geführt. Der Übergang vom ersten Teil des Films in den zweiten ist die nächste geniale Szene. Denn in dem Moment, da Truman seinem Vater gegenübersteht und den wohl emotionalsten Moment seines Lebens hat, wird der Zuschauer damit konfrontiert, dass tatsächlich alles inszeniert ist. Eine Dokumentation und ein Interview mit dem Produzenten und Erfinder der Show, Christof, werden gezeigt sowie Zuschauer aus der ganzen Welt. Truman ist ein globales Phänomen, dem Millionen Menschen folgen. Auch erfährt man, dass es Bewegungen gegen die Show und gegen diese Ausbeutung eines Menschenlebens gibt, denen besonders die ehemalige Statistin Lauren nahesteht. Sie hat sich am „Set“ in Truman verliebt und versuchte ihn zu befreien. In letzter Sekunde wurde sie verschleppt, weil sie angeblich psychisch krank sei und man sagte Truman nur, dass sie auf die Fidschi-Inseln ziehe, was seine Sehnsucht nach diesem Ort erklärt.

 

Von diesem Ereignis an sieht der Zuschauer Trumans Alltag aus der Sicht der Produzenten. Man versucht ihm durch erfolgreiche Versicherungsabschlüsse und eine neue Frau das Leben in Seahaven wieder schmackhaft zu machen, doch Truman ist nun derjenige, der allen etwas vorspielt. Er legt sich zum Schein schlafen und verschwindet. Alle Statisten machen sich auf die Suche nach ihm und finden ihn schließlich auf einem Boot. Der irre Christof will ihn mittels der Wettertechnik ertränken, doch Truman überlebt. Die Endszene des Films setzt noch einmal so richtig einen drauf. Nahezu im Stile eines Gemäldes von Dali stößt Truman auf ruhiger See schließlich an die Wand des Studios, an seinen Horizont. Truman bricht in Tränen aus ob dieser Erkenntnis. Dann richtet Christof selbst das Wort an ihn aus dem Studio, das in den Mond am Himmel eingebaut ist. Er will Truman überzeugen, dass sein Leben in Seahaven gut ist, weil es sicher und von ihm, Christof, wie von einem liebenden Vater (oder Gott) geplant ist. Trumans Reaktion: Er sagt seinen Satz, den er allmorgendlich zu besten gab („Und falls wir uns nicht mehr sehen, guten Tag, guten Abend und gute Nacht“) und verschwindet hinter der Studiotür. Die Welt jubelt.

 

Jim Carrey, den man bis dahin eher als Grimassen schneidenden Witzbold kannte, spielt hier die Rolle seines Lebens. Allen emotionalen Zuständen Trumans verleiht er das passende Gesicht. Er macht dieses Erlebnis, wenn das ganze Leben sich als eine große Fernsehshow herausstellt, für den Zuschauer erleb- und nachvollziehbar. Nahezu alle anderen Schauspieler fügen sich in die perfekte Inszenierung ein. Jede Minute, jede Sekunde fast, erlebt man eine neue Facette dieser bis ins kleinste Detail kontrollierten Welt, ob es die Product-Placements sind, die Radio- und Fernsehprogramme, die auf Trumans Handeln stets reagieren, die Kameraeinstellungen oder die Statisten auf den Straßen und in den Büros. Zur Krönung gibt Ed Harris dem Avantgarde-Künstler Christof einen derartig widerwärtigen Anstrich, dass es einen schüttelt, besonders in der Szene, da er an einer riesigen Leinwand vorbeigeht, die den schlafenden Truman zeigt und die er zärtlich streichelt. Am Ende steht eine Hommage an das selbstbestimmte Leben. Die kleinen Unsicherheiten, der Zufall, Möglichkeiten, die sich aus dem Nichts ergeben, sie sind es, die das richtige Leben ausmachen. Truman will sie nutzen, will die Unvorherbestimmtheit seines Lebens jede Sekunde genießen, nachdem er aus der Studiotür hinaus ins freie Tritt. Willkommen im (richtigen) Leben. 

 

Thema, Idee, Drehbuch, Inszenierung, Umsetzung, schauspielerische Darbietung – in diesem Film stimmt für mich einfach alles. Und deswegen denke ich bei jeder meiner Geschichten immer an den Scheinwerfer, wenn es an die „Hole in the somewhere“-Szene geht. Es gibt sie, die Löcher in der Wirklichkeit, die Chancen hindurchzugehen. Es können Bücher sein, Filme, Begegnungen, Ereignisse, die man beobachtet. In den Geschichten führen sie zu unerhörten Entwicklungen. Und vielleicht, wenn man nicht alle von ihnen verpasst, im richtigen Leben auch. (gepostet: 7.2.2018)